Vertrauen gegen Vertrauen

Donna Leon – „Heimliche Versuchung“

von Frank Becker

Vertrauen gegen Vertrauen
 
Als eine Kollegin von Commissario Brunettis Frau Paola, Professoressa Crosera mit der Bitte um Hilfe in der Questura vorspricht, dabei aber deutlich zögert, wirklich ihr Problem offenzulegen – Methode: Wasch mir den Pelz, aber mach nicht naß - nimmt Brunetti aufgrund des wenigen Gesagten zunächst an, sie mache sich Sorgen um ihren Sohn im Zusammenhang mit Drogenkonsum. Zurückhaltend nimmt er Routine-Ermittlungen auf.
 
Da wird kurz darauf ihr Mann Tullio Gasparini nach einem mitternächtlichen Sturz auf einer Brücke in der Nähe der Wohnung im Koma ins Krankenhaus eingeliefert. Ein Überfall und mögliche Verbindungen ins Drogenmilieu können aufgrund der Umstände nicht ausgeschlossen werden. Konkrete Anhaltspunkte fehlen jedoch. Und doch stößt der Commissario bei seinen detaillierten Nachforschungen mit Hilfe seiner Kollegen, der schönen Claudia Griffoni, dem zuverlässigen und immer wieder mit Überraschungen aufwartenden Lorenzo Vianello und der eleganten, findigen Sekretärin seines Vorgesetzten Vice-Questore Patta, Elettra Scorzi, auf Spuren, die allerdings in eine ganz andere Richtung weisen.
Einmal mehr geht es wie so oft in Donna Leons Romanen vor der angekratzten Kulisse Venedigs in der Hauptsache um Korruption auf allen politischen Ebenen, Steuerbetrug, Betrug im Gesundheitswesen und die Unzulänglichkeit von Gesetzen und Justiz. Viel Raum wird auch wieder dem allgemeinen Mißtrauen und dem Zusammenhalt der Venezianer untereinander gegeben. Diesmal spielen auch ein Leck in der Questura und der penetrante Tenente Scarpa (Donna Leon weiß schon, warum sie dieser Figur einen solchen Namen gegeben hat) eine Rolle, und Brunetti tritt in allerlei Fettnäpfchen, auch bei Vianello und Griffoni. Das Vertrauensverhältnis der Kriminalisten untereinander nimmt aber keinen Schaden, das zwischen Brunetti und Elettra übersteht sogar eine kleine Krise und bekommt dadurch noch mehr Substanz.
 
Donna Leon erzählt diese Geschichte, deren Fäden und Motive ein verwirrendes Knäuel bilden, in der gewohnt leichtfüßigen, aber genau beobachtenden und präzise schildernden Sprache, die man von ihr kennt und an ihr schätzt. Daß hinterher alles ganz anders ist, als es zuvor schien, hält die Spannung stets auf hohem Niveau.
 
Donna Leon – „Heimliche Versuchung“
Commissario Brunettis siebenundzwanzigster Fall
Aus dem Amerikanischen von Werner Schmitz
© 2018 Diogenes Verlag, 336 Seiten, Ganzleinen, Schutzumschlag – ISBN: 978-3-257-07019-4
24,- € (D) / 32,- sFr * / 24,70 € (A)
Weitere Informationen: www.diogenes.ch