Im Zwiespalt Das Schillertheater NRW Wuppertal zeigt:
„Der Fall Furtwängler“
Als Deutschland nach 12 Jahren brauner Pest, unglaublichem nationalen Wahn und dem menschenverschlingenden 2. Weltkrieg in Trümmern lag, machten sich die Sieger auf, die Verantwortlichen zu finden und die Schuldigen zu richten. Die Vorarbeit hatten militärische Untersuchungsausschüsse zu leisten. Vor einen solchen Ausschuß der US-Zone wird auch Wilhelm Furtwängler zitiert, der gefeierte Weltstar am Pult der Berliner Philharmoniker. Ihm, der von den SS-Größen hofiert und willentlich oder nicht zum Bannerträger deutscher Kultur im Dritten Reich gemacht wurde, wird vorgeworfen, durch sein Arrangement mit den Mächtigen mitschuldig geworden zu sein. Der Punkt, auf den es der Ermittler, Major Arnold (Thomas Höhne), bringt, ist die Frage, warum der in der Welt angesehene Künstler nicht wie seine Kollegen, etwa Otto Klemperer und Erich Kleiber, das Land verlassen hat, als die Macht in die Hände der Nationalsozialisten fiel, sondern blieb und durch sein Wirken im Dunstkreis der Brandstifter diesen zu Ansehen verhalf. Ist das Bleiben schon Schuld und hat sich Furtwängler dadurch in den Dienst der brutalen Obrigkeit gestellt oder in den der unpolitischen großen Kunst, wie er für sich argumentiert?
Die Vernehmung Furtwänglers (Hans-Christian Seeger) gerät zum Rededuell zwischen Arnold und ihm, in dessen Verlauf zum einen greifbar wird, daß beide Beteiligten auf dogmatischen Positionen verharren, nicht in der Lage oder willens, Einsicht in die Gedankenwelt des Gegenüber zu nehmen. Zum anderen stehen beide, der eine in seiner intellektuellen Selbstgerechtigkeit, der andere in empörter Ungerechtigkeit, im Zwielicht. Ein moralischer Sieger kann aus diesem Duell nicht hervorgehen. Kosok läßt mit feinnerviger Hand diesen Zustand unangetastet bestehen, den Zuschauer den empfundenen quälenden Zustand der Nicht-Lösung als Besinnungsarbeit mitnehmen.
Das wird möglich durch die Darstellung der in jeder Hinsicht ungleichen Gegner. Seeger als Furtwängler zeigt einen tief gekränkten und gedemütigten, jedoch ungebrochenen und auch unbelehrbaren Intellektuellen. Einen Mann von vornehmer Haltung und Gesinnung, mitunter leider etwas zu dick unterlegt mit Beethovens 5. Sinfonie. Oder sollte durch das ta-ta-ta-tam, das die BBC während des Krieges als Fanfare ihrer zum Widerstand aufrufenden Nachrichten für Deutschland benutzte, eine geistige Verbindung angedeutet werden? Die Frage bleibt unbeantwortet. Furtwängler, standfest und starrköpfig, wankt für einen Lidschlag beim Anblick einer Stange Lucky Strike. Seegers Maske und Kostüm (Evelyn Schönwald) verdienen hohes Lob, das auch für die Ausstattung Hans Richters als 2. Geiger Helmuth Rode gilt. Richters Verkörperung des Verführbaren, des bedingungslosen Opportunisten, des Gehorsamen, der sich für aufrecht und ehrlich hält und in jedem Strom mitschwimmt, wenn er nur die Strömung erkennt, war ein Kabinettstück, eine Sonderleistung des verdienten und leider in jüngerer Vergangenheit nicht angemessen besetzten Charakterdarstellers. Ein Schauspieler von unerhörter Präsenz.
Thomas Höhne gab als vernehmender US-Major seinen künstlerischen Einstand in Wuppertal - und den gab er ausgezeichnet. Von kurzsichtigem Haß zerfressen bleibt sein Steve Arnold, für die Aufgabe wegen fehlender intellektueller Belastung ausgesucht, letztenendes im gleichen häßlichen Zwielicht wie der Mann, den er zerstören will. Die übrigen Darsteller, Martina Reichert, Thorsten Hermentin und Andrea Witt bleiben marginal, wobei Thorsten Hermentin als Antipode Höhnes eine wichtige Funktion gut erfüllte. „Partei ergreifen (Taking Sides)“ heißt das Stück von Ronald Harwood im Original. Was die Protagonisten taten, konnte man als Zuschauer schließlich weder so noch so - und das war wohl auch das Ziel. Rainer Kosok hat ein ordentliches Gesellenstück abgeliefert.
Frank Becker |