Der überaus vornehme Friseur (1)

von Hermann Harry Schmitz

Illustration © Barbara Gauger
Der überaus vornehme Friseur (1)
 
von Hermann Harry Schmitz
 
Er hatte einen wohlgepflegten Vollbart und sah aus wie Herr Sudermann.
Er trug immer einen schwarzen Gehrock mit großem Seidenrevers und lange, schmale Lackstiefel.
Er war der erste Friseur der Stadt. Vor seiner Tür hatte er mehrere goldene Wappenschilder mit Keulenmännern, die ein Zeichen dafür waren, daß er schon erlauchte Bartstoppeln beseitigen durfte. Auch besaß er eine Brillantbusennadel: die Initialen des regierenden Fürsten mit Krone darüber. Mancher höhere Staatsbeamte beneidete ihn um dieses Zeichen allerhöchsten Wohlwollens.
Es gehörte zum guten Ton, sich bei ihm behandeln zu lassen.
In jeder Stadt gibt es sogenannte „First-Class-Geschäfte“, die ihren Ruf meist ohne eigenes Verdienst, durch Suggestion der Tradition zu wahren wissen.
Da haben wir das Herrenmodegeschäft, sprich: „lätest fäschen“, den Schneider, sprich:: „täler“, dem Schuster, sprich: „buuts“, bei welchem sich der Kavalier, der etwas auf sich hält, zu bedienen hat.
Die exklusive, zurückhaltende Tendenz derartiger Standard-Läden künden schon die Schaufenster.
Liegt in einer großen Auslage aus poliertem Mahagoni lediglich ein zusammengeknülltes Seidentuch, ein Hosenträger, ein seidener Strumpf und eine Glasflasche mit englischen Drops, so befindest du dich vor dem einzigen Ort, wo du als ein Mann von Geschmack und Distinktion dir deine Krawatten, Unterwäsche und so zu kaufen hast.
Ein einsamer Lackschuh, ein schwarzer Leisten und ein Paar seidene Schuhbänder - nicht zu vergessen eine Flasche englischer Drops – wahllos in einer Vitrine aus Zitronenholz verstreut, zeigen dir an, daß hier der maßgebende Schneider – ich warne dich indessen inständigst, den Mann niemals so zu nennen – wirst du außer der Flasche Drops nur ein buntes Stück Flanell für eine Weste im Schaufenster finden.
Für die Geschäfte in erstklassiger Damenmode gelten die gleichen Grundsätze. So macht auf mich stets das Schaufenster des sogenannten feinsten Damenmodemagazins der Stadt einen großen Eindruck. Auf einem Ständer langweilt sich ein einsamer Hut, der so angebracht ist, daß man gerade noch ein wenig darunter schauen kann, das Wort „Paris“ zu lesen. Weit und breit sonst nichts in der Auslage oder höchstens nur wieder eine Flasche mit englischen Drops, die in allen Fällen auf harmlose Gemüter unbedingt wirkt. –
 
Er war also der erste Friseur der Stadt.
Er hielt sich meistens in dem Raum vor dem Rasiersalon auf und machte lediglich in einer herablassenden Form, vorsichtig abwägend, die Honneurs. Vom einfachen Aufgucken von der Zeitung an bis zum eigenhändigen Helfen in den Paletot und Geleiten bis zur Tür zog er in entsprechender Weise, auf jeden Fall individuell zugeschnitten, die Register seiner Höflichkeit.
Letzterwähnte Nuance stellte den Superlativ seiner Herablassung dar und wurde von ihm nur äußerst selten in Anwendung gebracht.
Hatte jemand keinen klangvollen Namen oder Titel, so kümmerte er sich persönlich gar nicht um ihn. Höchstens, daß er mal flüchtig von der Zeitung aufschaute oder, wenn er besonders gut gelaunt war, die Zigarette einen Moment aus dem Mund nahm. Weiterer Ovationen wurden diese Armen, die von seinen Gehilfen kurzerhand mit „Herr Direktor“ angeredet wurden, seinerseits nicht gewürdigt. Das war er seinem Geschäft und seinen anständigen Kunden gegenüber schuldig.
Selbst Leute, die sonst wirklich etwas bedeuteten, wie Assessoren, Rechtsanwälte, Amtsrichter, Bankdirektoren grüßte er nur mit einer leichten Verbeugung, indem er mit müder, diskreter Stimme ihren Titel nannte, den, wie ein Echo, seine acht Angestellten in weißen Tropenuniformen laut wiederholten.
Erst vor Uniformen und Regierungsräten ging er aus seiner Reserve heraus, die in eine gewinnende Liebenswürdigkeit ausarten konnte, wenn es sich dann noch um einen Träger eines alten, feudalen Namens handelte.
Noch eine wohlüberlegte Höflichkeitsnote war die: Ostentativ herbeizueilen, um jemandem beim Anziehen des Paletots behilflich zu sein, es indessen mit mathematischer Sicherheit stets so einzurichten, daß er zu spät kam und den Betreffenden erst erreichte, wenn dieser seinen Mantel schon anhatte.
Einen gewissen ehrlichen Respekt hatte er vor anerkannt schwerreichen Leuten, die selbst von den Offizieren zuerst gegrüßt wurden. Vor Leuten mit furchtbar vielen Nullen, die im Auto vor seinem Geschäft vorknatterten und deren Persianerpelze seinen Garderobenständer demütig erzittern ließen. –
 
 Lesen Sie morgen an dieser Stelle den zweiten Teil und Schluß der Erzählung.