Einer Stadt ins Gesicht geschaut

Thomas E. Wunsch - „Bestandsaufnahme“

von Frank Becker

Einer Stadt ins Gesicht geschaut
 
Der Remscheider Fotograf Thomas E. Wunsch
hat 378 Menschen porträtiert
 
Niemand wird behaupten können, daß Remscheid, einst zu einem Teil eine Wohlstand zeigende bürgerliche Perle des Bergischen Landes, zum anderen durch seine Metallindustrie ein Quartier des hart arbeitenden Proletariats, heute noch annähernd über den früheren biederen oder auch rauhen Charme verfügt. Der triste Verfall der noch in den 1960ern geschäftig pulsierenden Alleestraße und des lebendigen Arbeiterviertels Honsberg sind äußere Zeichen dafür, wie Politik und Handel eine Stadt abwirtschaften können.
Auch der Bevölkerungsschwund und der demoskopische Wandel sprechen davon (1970 waren es noch rund 136.000 Einwohner, aktuell sind es nur noch knapp 113.000, davon knapp 33.000 Menschen mit Wurzeln im Ausland), daß Remscheid an Attraktivität verliert. Und doch: Wer dort geboren ist, aus beruflichen Gründen oder der Liebe wegen hingezogen und geblieben ist, steht zu Remscheid. Und sagt es. Zumindest tun das die 378 Männer, Frauen und Kinder, sowie einen Hund, die Thomas E. Wunsch vor das Objektiv seiner Kamera gebeten, sie porträtiert und nach ihrem Vornamen, Beruf und Alter und zu ihren Gedanken über ihrer Stadt gefragt hat.
 
Der aus diesem Projekt entstandene s/w-Fotobildband zeigt nüchtern, sachlich und ungeschminkt, ohne ablenkende Hintergründe vor schwarzer Fläche die Gesichter der Stadt mit dem Bergischen Löwen und der Sichel im Wappen. Das klingt zunächst nicht aufregend, wird aber von Bild zu Bild, von Seite zu Seite spannender, weil man beginnt, in das Leben, den Alltag Remscheids hineinzuhören und durch die Intensität der Fotografien fremde Menschen, durchmischt in Alter, Geschlecht, Herkunft und Stand kennenzulernen, ohne ihnen zu nahe kommen zu können. Niemand hat die Chance, sich durch Accessoires abzuheben, denn auch die Kleidung ist schwarz, nur wenige tragen dezenten Schmuck. Ab und an wird die Abfolge der Porträts durch ebenfalls schwarz/weiße Blicke auf Stadtlandschaften oder urbane Details unterbrochen, die Tristesse der Stadt unterstreichend. Nur ein einziges Mal blitzt bunte Lebensfreude auf, eine blumige Doppelseite zeigt einen mit Sommerblumen bewachsenen Grünstreifen an der Freiheitstraße. Etwas Merkwürdiges geschieht beim Betrachten, man schaut zunächst eher rasch, flüchtig hin, wird dann aber zunehmend neugierig und vertieft sich in den Ausdruck der Menschen, sieht die frische Glätte der jungen Gesichter, erforscht die Spuren der Zeit der alten. Wie schon oben gesagt: Spannend.
 
Unsere Leser kennen Thomas E. Wunsch natürlich durch seine Fotos in den Musenblättern, die wir seit 2014 zeigen können.
 
Thomas E. Wunsch – „Bestandsaufnahme“
© 2018 Bergischer Verlag, 248 Seiten gebunden, 21,5 x 30 cm – ISBN: 978-3-945763-50-6
24,95 €