Kinderarbeit auch
"abseits der Fabriken" Mit zwei Ausstellungen erinnert das Freilichtmuseum Hagen an Kinderarbeit im Westfalen des 19. Jahrhunderts und an die Situation in heutigen Entwicklungsländern
Hagen - "Könnten Sie, hochverehrte Herren, doch einmal diese Jammerszenen mit ansehen, wenn die armen, zarten Kinder morgens früh um fünf Uhr in kaltem oder nassem Wetter weinend oder widerstrebend von der Mutter in ein solches Gefängnis geschleppt werden, auch Ihnen würde es das Herz zerreißen". Mit diesen Worten warb der Fabrikant Johannes Schuchard aus Barmen 1837 im Rheinischen Provinziallandtag für einen Gesetzentwurf gegen die schlimmsten Auswüchse der Kinderarbeit in Fabriken. Schon Vier- bis Fünfjährige mußten damals dort zwölf und mehr Stunden arbeiten. Mit einer Ausstellung "Abseits der Fabriken - Kinderarbeit in Westfalen im 19. Jahrhundert" erinnert das Freilichtmuseum Hagen ab kommenden Sonntag daran, daß auch im Handwerk und in der Heimarbeit noch vor rund 100 Jahren Kinderarbeit üblich war. Noch an der Wende zum 20. Jahrhundert Die von Marco Stenzel vom Museum des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe zusammengestellte Schau zeigt am Beispiel Westfalens die Lage von Kindern in "klassischen" Einsatzfeldern. Etwa in der Nähnadelfertigung im märkischen Sauerland um 1800, in der Hausweberei im Münsterland um 1850 und in der Zigarrenfertigung in Ostwestfalen um 1900. "Abseits der Fabriken" erzählt nach den Worten von Museumssprecherin Uta Wenning-Kuschel aber auch von der Lebens- und Arbeitssituation von Kindern im Handwerk an der Wende zum 20. Jahrhundert. Die Ausstellung ist an mehreren, über das weitläufige Gelände des Freilichtmuseums verteilten Standorten zu sehen. Neben eingerichteten Werkstätten sind es vor allem Fotografien, Gemälde, Skizzen, behördliche Anordnungen und Briefe, die Zeugnis von dem trostlosen und eintönigen Alltag unzähliger Kinder im damaligen Westfalen ablegen. Mißhandelt und ausgebeutet "Sie sind den ganzen Tag bis spät in die Nacht in engen, dumpfen Stuben oder Werkstätten eingesperrt, wo sie, sitzend beschäftigt, verpestete Luft einatmen. Hier sind sie Augen- und Ohrenzeugen grober, unsittlicher Reden und Handlungen der Erwachsenen und erdulden oft die härtesten Mißhandlungen." So schrieb die Regierung Arnsberg an das Unterrichtsministerium in Berlin über die Lage der Kinderarbeiter im Kreis Iserlohn um 1825. "Erst eine reichsweite Erhebung im Jahr 1898 brachte Licht in die dunklen Stuben der Heimarbeiter und in die Werkstätten der Handwerker", so Stenzel. Damals gingen sage und schreibe 532.283 Kinder in Deutschland einer gewerblichen Arbeit nach. Sie schlugen Öhren in Nähnadeln, saßen an Spulrädern oder schnitten Rippen aus Tabakblättern. Heute in den Entwicklungs- und Schwellenländern Der zweite Teil der Ausstellung beschäftigt sich mit der gegenwärtigen Situation von Kinderarbeitern in den sogenannten Entwicklungs- und Schwellenländern. Etwa zehn Prozent der heutigen Kinderarbeiter in diesen Ländern sind nach Angaben des Museums in Betrieben beschäftigt, die auch Waren exportieren. Dabei handelt es sich um Textilfabriken, Steinbrüche, Teppichmanufakturen, Kohleminen, Kakao- oder Kaffeeplantagen. Erschreckend die Bilder, die kleine und kleinste Kinder zeigen, die etwa in Indien bei der Herstellung von Streichhölzern eingesetzt werden und die ungeschützt in Heimarbeit mit hochgiftigen Substanzen wie Phosphor, Asbest oder Glaspulver in Berührung kommen. Internet: www.lwl-freilichtmuseum-hagen.de |