Mit Haut und Haar - Frisieren, Rasieren, Verschönern

Eine Ausstellung im Museum Karlsplatz, Wien

Red./Bec.

Mit Haut und Haar -
Frisieren, Rasieren, Verschönern
 
Mit Haut und Haar beginnen und beenden wir unseren Tag: Wir waschen und pflegen die Haut, kämmen und stylen die Haare, rasieren Bartstoppeln und Achselhaare, zupfen Augenbrauen und tragen Make-up auf. Haut und Haare bilden unsere Körperoberfläche, sie sind unsere Schnittstelle zur Welt. Indem wir sie gestalten und formen, senden wir Botschaften über uns aus. Die Methoden, die wir dabei anwenden, zählen zu den ältesten Kulturtechniken überhaupt, sie unterliegen dabei einem steten historischen Wandel. Haut und Haare sind nicht nur in biologischer Hinsicht, sondern auch in der historischen Entwicklung von Gestaltungs- und Pflegepraktiken sowie der entsprechenden Gewerbe eng miteinander verknüpft. Mit Bezug auf Wien werden in der Ausstellung Techniken, Handwerke und Konsumfelder ebenso beleuchtet, wie Bedeutungen und Normen des gestalteten Körpers. Weiters wird nach der Entstehung und Bedeutung bestimmter Moden und Stile gefragt: Seit wann tragen Frauen kurze Haare? Welche Bärte waren in Wien populär? Wann sind Haare politisch? Welche Haare gelten als schön, welche als abstoßend? Was heißt „vornehme Blässe“? In welchem Kampf diente der Lippenstift als Waffe?
 
In vier Kapiteln wird der Körper auf vier verschiedenen Ebenen in den Blick genommen: In seiner Historizität, als Produkt von Arbeit, als Adressat von Vergesellschaftungs- und Normierungsprozessen und als Bedeutungsträger. Sich „herrichten“, diese in Österreich geläufige umgangssprachliche Formulierung für das im Hochdeutschen üblichere sich „schön machen“, dient dabei als Leitmotiv. Der gestaltete Körper zeigt, wo wir gesellschaftlich verortet sind und wie wir uns positionieren möchten. Er macht Aussagen über gruppenspezifische Zugehörigkeiten und über unseren Status, über unser Geschlecht und Alter, unser Weltbild und unsere Religion, unsere politischen Einstellungen, unseren Beruf und vieles mehr. Das Wien Museum verfügt über einen sehr vielfältigen Sammlungsbestand –aus ihm wurde für diese Ausstellung in erster Linie geschöpft. Erklärtes Ziel war es, die inhaltlichen Schwerpunkte entlang der eigenen Sammlung zu entwickeln, Leihgaben wurden nur vereinzelt hinzugezogen. Die Exponate stammen aus so unterschiedlichen Sammlungsbereichen des Wien Museums wie Archäologie, Alltagskultur, Biographie, Kunst, Mode und Topografie, zudem in nicht geringem Umfang aus den Bibliotheken des Museums. Dafür mussten die Sammlungsbestände durchforstet und gleichsam quergelesen werden, denn zu den Themenbereichen der Ausstellung wurde nie gezielt gesammelt. Im Zuge der Ausstellungsvorbereitung wurden auch einige Objekte angekauft. Insgesamt werden in der Ausstellung rund 500 Exponate gezeigt, unter anderem ein Frisiersalon von 1900, historische Dauerwellenapparate, Franz Grillparzers Rasiermesser, Kaiserin Elisabeths Schönheitsrezepte, eine Perücke der Song Contest-Gewinnerin Conchita, ein von Oswald Haerdtl entworfener Toilettentisch, sowie Mode- und Werbegrafik. Der zeitliche Rahmen reicht vom 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart.


Frisir- und Rasirsalon Eduard Hlawáček, 1910 © Wien Museum
 
Der moderne Körper und seine Geschichte
So selbstverständlich uns heute die verschiedenen alltäglichen Methoden sind, mit deren Hilfe wir an unserer körperlichen Erscheinung arbeiten, so vergleichsweise neu sind solche Praktiken als Massenphänomen in historischer Perspektive. Was also macht den „modernen“ Körper aus? Er ist das Produkt gezielter Bemühungen, die Natur zu überwinden. Menschen haben ihren Körper schon immer gestaltet, verschönert und verbessert. In der Moderne jedoch geriet der Körper, so wie die gesamte Existenz des Menschen, unter einen allumfassenden Optimierungszwang. Das im späten 17. Jahrhundert einsetzende Zeitalter der Aufklärung erhielt nicht zufällig den Beinamen „Zeitalter der Vernunft“. Rationales Denken und Fortschrittsglaube sollten das Individuum wie die Gesellschaft kontinuierlich verbessern und in höhere Entwicklungsstufen führen. Die Kernidee der Aufklärung lautet: Nicht das Schicksal oder Gott ist für das Leben des Menschen verantwortlich, sondern das Individuum, das sein Leben demzufolge in die eigenen Hände nehmen und gestalten muss. Dementsprechend wurde auch die Natur nicht mehr als Schicksal gesehen, sondern als Ressource, die es den menschlichen Interessen entsprechend zu nutzen und zu unterwerfen galt. Diese Bestrebungen trafen nicht nur auf Bodenschätze, Tiere oder Pflanzen zu, sondern auch auf den menschlichen Körper, der in Folge in einem bislang unbekannten und undenkbaren Ausmaß funktionalisiert, diszipliniert und modifiziert wurde. Der Körper wurde immer weniger als ein Instrument für die Arbeit, sondern zunehmend als ein Produkt von Arbeit gesehen. In dieser Perspektive erscheint er als Rohstoff, den es zu formen und zu kultivieren gilt. Anders formuliert: Der Körper ist nicht, er wird, er ist grundsätzlich und buchstäblich work in progress. Eine Wiener Kosmetikzeitschrift der 1920er Jahre nannte sich diesem Prinzip entsprechend: „So wirst Du schön!“ und ähnlich lauten die Titel vieler Ratgeber. Vor diesem historischen Hintergrund kann die Mode als eine kulturelle Praxis der Moderne verstanden werden, mit deren Hilfe sich das Individuum seinen Schönheitsidealen anzunähern versucht. Die Mode ist in dieser Perspektive ein Zeichen für das Streben nach einem Ideal, sie ist stets in Bewegung und somit auch eine Metapher für Veränderung. Der mittlerweile auch im Deutschen vielfach verwendete englische Begriff „Make Over“ verdeutlicht besser als das traditionell gebräuchliche „Verschönern“, dass es dabei um eine –mehr oder weniger massive –Veränderung der körperlichen Erscheinung geht. Die dabei zum Einsatz gelangenden Methoden können von einer neuen Haarfarbe mit Hilfe einer herauswaschbaren Tönung bis hin zu buchstäblich unter die Haut gehenden, operativen Eingriffen reichen.

 
Shampoo-Pulver der Firma Elida, um 1935 © Wien Museum
 
Frisieren, Rasieren, Verschönern
Das erste Kapitel der Ausstellung, „Blicke auf den Körper“, stellt grundsätzliche körperhistorische Fragen und nimmt dafür den Körper am Beispiel von Haut und Haaren aus unterschiedlichen Perspektiven in den Blick: Anatomie, Anthropologie, Physiognomik, Religion, Aberglauben, Hygiene, Sprache etc. Die Darstellung erfolgt knapp und pointiert anhand jeweils eines einzigen Exponats –Ziel ist nicht eine vertiefende Darstellung der jeweiligen Perspektive, sondern die Verdeutlichung der Historizität und kulturellen Konstruiertheit des Körpers. Es soll klar werden, dass der Körper nicht ausschließlich etwas von der Natur Gegebenes, sondern auch etwas Gedachtes und Gemachtes – „natürlich Kultur“ – ist. In diesem Ausstellungsbereich kommt dem Spiegel als einem wichtigen Medium moderner Körperwahrnehmung und Körpergestaltung eine zentrale Rolle zu: Er wird hier in seiner ganzen formalen Bandbreite in größerer Zahl zu sehen sein, vom kleinen Taschenspiegel, über Rasierspiegel und Badezimmerspiegel, bis hin zur Psyche und zum Spiegelschrank. Diese große Menge an Spiegeln konfrontiert das Publikum nicht nur mit einem wichtigen kultur- und körperhistorischen Artefakt, sondern auch mit sich selbst und lädt damit zur Selbstreflexion und Selbstverortung ein. Kapitel zwei, „Arbeit am Körper“, geht den speziellen Handwerken und Konsumgütern nach, die dem Wunsch nach Körpergestaltung im Lauf der Geschichte entsprangen. Am Beispiel Wien zeigt dieses Kapitel exemplarisch deren Entstehung und Entwicklung und konzentriert sich dabei auf moderne Formen der Haarpflege/Haargestaltung und Kosmetik, wie sie sich seit dem 18. und verstärkt seit dem 19. Jahrhundert herausgebildet haben. Im Fokus stehen hier die Akteure, Orte und Mittel der praktischen Körperpflege und -gestaltung. Bader, Barbiere, Perückenmacher, Friseure, Kosmetiker etc. werden vor den historischen Vorhang geholt. Kapitel drei ist „Vorbildlichen Körpern“ gewidmet und stellt sich dem Umstand, dass sich Körpergestaltung stark an Normen, Konventionen und Vorbildern orientiert, von diesen inspiriert ist oder sich daran reibt. Das Kapitel zeigt exemplarisch Medien der Vermittlung (Ratgeber, Zeitschriften, Werbung, etc.) sowie Prominente als Vorbilder (Kaiserin Elisabeth, Schauspielerinnen, Schönheitsköniginnen, etc.). Bei den Exponaten liegt der Schwerpunkt auf Bildern unterschiedlichster Art, sowie Schaufensterfiguren.

 
Werbetafel für „Pitralon“, um 1960 © Wien Museum
 
Das vierte und letzte Kapitel lautet „Körperzeichen“. Ausgangspunkt sind ganz konkrete visuelle Chiffren: Exemplarisch wird hier der Frage nachgegangen, welche Bedeutungen mit verschiedenen Formen des gestalteten Haars und der gestalteten Haut verknüpft sind. Ziel des Kapitels ist nicht ein enzyklopädischer historischer Überblick (zum Beispiel über die Frisurenmode), sondern die Fokussierung auf eine Auswahl markanter und historisch relevanter Beispiele (höfische Perückenmode, Bärte, Bubikopf, lange Männerhaare, Zöpfe, blasse Haut, gebräunte Haut, geschminkte Gesichter, gepflegte Hände, etc.). Zu sehen sind hier Porträtgemälde, Fotografien, Karikaturen und Modedarstellungen ebenso wie Textilarbeiten aus der Cizek-Schule und heute kaum noch bekannte Accessoires wie Bartbinden oder Fingerspitzenformer.
 
Mit Haut und Haar. Frisieren, Rasieren, Verschönern - Das Buch zur Ausstellung
Begleitend zur Ausstellung erscheint eine Publikation mit zahlreichenwissenschaftlichen, essayistischen, literarischen, autobiografischen und journalistischen Beiträgen. Die Beiträge stammen von Susanne Breuss, Matti Bunzl, Karin Harrasser, Elfriede Jelinek, Michaela Lindinger, Trude Lukacsek, Walter Öhlinger, Jelena Pantić, Klaus Pichler, Susanne C. Pils, Karin Rick, Vanessa Spanbauer, Apollonia Stoisits, Alina Strmljan, Anton Tantner, Friedrich Tietjen, Andreas Weigl.
© 2018 Metroverlag, ca. 450 Seiten, 29,- €
 
19. April 2018 bis 6. Jänner 2019
Wien Museum Karlsplatz  -  1040 Wien, Karlsplatz 8
Dienstag bis Sonntag & Feiertag, 10 bis 18 Uhr
Geschlossen: 1. Mai 2018, 25. Dezember 2018 und 1. Jänner 2019