Würdige Karfreitagsmusik: Händels „Israel in Ägypten“

Der Chor der Konzertgesellschaft mit dem Sinfonieorchester Wuppertal

von Johannes Vesper

Händel-Denkmal von Hermann Heidel in Halle - Foto © dnaw
Händels „Israel in Ägypten“

Chorkonzert des Chors der Konzertgesellschaft
mit dem Sinfonieorchester Wuppertal
im Großen Saal der Historischen Stadthalle
 
Von Johannes Vesper
 
Würdige Karfreitagsmusik. Schon die ernste Ouvertüre, ursprünglich Begräbnismusik für Königin Caroline, läßt den Ernst und die Größe des Werkes erahnen. Georg Friedrich Händel hatte bei der Planung dieses Oratoriums allerdings zunächst den 3. Teil (Moses Song) komponiert, dann den 2. Teil (Exodus), zuletzt auf seine 2 Jahre zuvor schon entstandene Begräbnismusik zurückgegriffen und dabei nur den Text geändert (Lamentation of the Israelites for the Death of Joseph). Das Verfahren, musikwissenschaftlich als Parodie bezeichnet, war im 18. Jahrhundert weit verbreitet (z.B. u.a. auch J.S. Bachs Eingangschor des Weihnachtsoratoriums). Wie Bachs Matthäuspassion wurde Händels hochdramatisches Oratorium von Felix Mendelssohn-Bartoldy für das 19. Jahrhundert wiederentdeckt und 1833 beim Niederrheinischen Musikfest in Düsseldorf aufgeführt. Neben dem „Messias“ begründete „Israel in Ägypten“ Händels Ruhm und Größe als Komponist großer Oratorien, von denen er mehr als 20 geschrieben hat. Wahrscheinlich hatte er, als er nach vierjähriger Reise durch Italien 1712 nach London zog, schon eine Ahnung, daß er mit seiner Musik vor dem damals noch weltoffenen, großen Publikum in der Metropole London viel erfolgreicher sein könnte als in deutschen Duodezfürstentümern. Während J.S. Bach nur für einige Gottesdienstbesucher seine Kantaten schrieb, befriedigte zur gleichen Zeit Händel in England das kulturelle Bedürfnis eines dafür zahlenden, interessierten Publikums. Immerhin war in London schon 1672 vielleicht das allererste öffentliche Konzert Europas zu hören. In London errichtete man ihm zu Ehren bei Lebzeiten ein Denkmal, wo sich Händel in bester Gesellschaft von David, Orpheus und der heiligen Cäcilie befindet. Seine erste Stelle in Deutschland erhielt er mit 17 Jahren als Organist der sich auf Genfer Reformatoren berufende Gemeinde in Halle, die dazu in den Kirchenbüchern schrieb: „Das evangelisch-lutherische Subjekt Händel wird jetzt diesen Dienst vollziehen“. Beethoven hielt später Händel für den größten Komponisten, der je gelebt hatte, wollte sein Haupt entblößen und an seinem Grabe niederknien. Gott liebt anscheinend Ausländer, nicht nur den in England erfolgreichen Händel sondern auch Joseph in Ägypten, der vor 3000 Jahren, von seinen Brüdern verkauft, mit Schleppern nach Ägypten bis in die Bar zum Krokodil am Nil gelangte, und als Migrant dort gut integriert wurde. Israels Geschichte von der Unterdrückung und Ausbeutung Israels bleibt aktuell und als Händelsches Oratorium ein musikalisches Erlebnis der Sonderklasse.
 
Jetzt hatte sich der Chor der Konzertgesellschaft (gegründet 1811) in der Einstudierung von Georg Leisse dieses Riesenwerks angenommen, welches hier jahrzehntelang nicht aufgeführt worden ist. Zu Beginn in den Lamentations beklagen Israels Kinder Josephs Tod. So sang der große Chor mit über 100 Sängern – das Orchester wurde fast von der Bühne verdrängt - von Joseph, seiner Gerechtigkeit, seiner Weisheit und seiner Größe. Unter der routinierten, motivierenden wie souveränen Leitung von Markus Baisch begleitete das Orchester, wie heute üblich in barocker Spielweise mit sparsamem Vibrato, sorgfältig und aufmerksam den engagierten und motivierten Chor, der von Sängern des Cercle Bach de Genève (Einstudierung Natacha Casagrande) verstärkt wurde. Im Exodus (2. Teil) werden die Plagen Ägyptens plastisch geschildert: Herrlich sangen die beiden Bässe ihr Duett: „The Lord is a man of war“ und die biblischen Plagen begannen. Der blutige Nil, aus Mensch und Tier hervorbrechende schwarze Geschwüre, Frösche im ganzen Land und Hagelstürme mit Feuer und Donner wollen musikalisch dargestellt werden. Nach dem Gott gesprochen hatte („He spoke the word“), brauste endlich das Gesumm der Fliegen, Mücken und Heuschrecken durch den Saal. Der prächtige Chor und das groß aufspielende Orchester mit blitzsauberen Trompeten und mächtigen Posaunen gestalteten diese gewaltigen musikalischen Szenen und schlugen das Publikum in Bann. Da blieben drei Unsauberkeiten der Celli bzw. Kontrabässe irrelevant. Mit nahezu virtuosen, oft achtstimmigen Chorpassagen endet der Exodus zuletzt mit dem Untergang der Feinde im Roten Meer. Nach der Pause loben im 3. Teil (Moses Song) die Israeliten Gott und danken ihm für ihre Rettung. Hier haben die Solistinnen - Antonia Bourvé und Nina Koudochristou (Sopran) - und Solisten  - Algirdas Bagdonavicus (Countertenor), Ulrich Cordes (Baß) und Marek Reichert (Bariton) - etwas mehr zu tun. Mit zartem Schmelz eröffneten die Solosoprane den gewaltigen Schlußchor „The Lord shall reign for ever and ever“, der dem Halleluja des „Messias“ in nichts nachsteht. Mit dieser packenden Aufführung am Karfreitag faszinierte Händels Oratorium von 1738 das Publikum in der ausverkauften Stadthalle, welches sich mit starkem Applaus und zahlreichen Bravi bedankte. Blumen gab es für Solisten, Dirigenten und die Chorleiter. Georg Leisse hatte den Chor der Konzertgesellschaft 2016 übernommen, und man darf gespannt sein auf weitere Konzerte des aktuell sehr gut disponierten Klangkörpers.
 
Cercle Bach wurde 1928/29 zur Bachpflege in Genf gegründet. Der Konzertchor musiziert dort immer wieder zusammen mit dem Orchestre del Suisse Romande. Auf Initiative von Margret und Bill Kings, die sowohl im Chor der Konzertgesellschaft Wuppertal als auch im Bach Cercle Genf singen, kam es unter der Leiterin des Chores Natacha Casagrande zu gemeinsamen Projekten der beiden Chöre. So wurde 2016 in Genf das Deutsche Requiem von Johannes Brahms auf geführt und jetzt in Wuppertal „Israel in Ägypten“. Chormitglieder hier wie dort schätzen die freundschaftlichen Verbindungen über Ländergrenzen hinweg und das Publikum in Genf wie in Wuppertal die großen Konzerte.