Auf dem Kisokaido von Edo nach Kyoto

Hiroshige & Eisen – „Die neunundsechzig Stationen des Kisokaido“

von Johannes Vesper

Utagawa Hiroshoge - Otsu (1837/38) © 2017 Verlag Benedikt Taschen

Hiroshige & Eisen
Die neunundsechzig Stationen des Kisokaido.
Von Edo nach Kyoto
 
Von Johannes Vesper
 
Als der die Barbaren unterwerfende Generalissimus Tokugawa Ieyasu (1543-1616) mit 1543 von portugiesischen Händlern in Japan eingeführten Handfeuerwaffen daran ging, Japan zu einigen, schuf er ein System von Residenzen und 5 Hauptstraßen, die diese Pfalzen mit seiner Residenzstadt Tokyo verbanden. Jede Fürstenfamilie sollte nicht nur in ihrer Region sondern auch in Edo (historisch für Tokyo) wohnen. Eine dieser Nationalstraßen, der berühmte Kisokaido, führte von Edo nach Kyoto (534 km) und wurde ca. 1670 fertiggestellt. Der Kisokaido begann auf der Nihombashigawa-Brücke in Edo, die 1603 gebaut wurde. Seitdem konnten die wunderbaren Landschaften und Vulkane Nippons in besonderer Weise auf Reisen erlebt werden. Schon im 18. Jahrhundert wurden in Japan illustrierte Reiseführer verlegt, und der berühmte Katsushika Hokusai (1760-1849) fertigte bereits Landkarten aus der Vogelperspektive. Aber erst 1835-1838 wurde der Kisokaido in einer Serie von 71 Farbholzschnitten dargestellt und zwar von den damals beliebten und bekannten Künstlern Keisai Eisen (1790-1848) und Utagawa Hiroshige (1777-1858). Hiroshiges Vater arbeitete als Feuerwehrmann und starb, als sein Sohn 12 Jahre alt war. Der junge Waise lernte den Holzschnitt und begann mit Buchillustrationen. Später kamen Darstellungen von Kriegern und schönen Frauen hinzu. Sein gesamtes Werk umfaßt mehr als 4500 Druckvorlagen. Fast 150 Bücher hat er illustriert. Sein Kollege Eisen betrieb neben seiner Kunst ein Bordell, schrieb Unterhaltungsliteratur, arbeitete als Kosmetiker und lotterte bei ausgiebigem Alkoholkonsum im damaligen Rotlichtbezirk von Edo. Die farbigen Holzschnitte dieser beiden Künstler entstanden zu einer Zeit, als strenge Zensurvorschriften die Publikation solcher Druckwerke einschränkten. Jeder Entwurf erhielt vor dem Druck den Zensurstempel.
 

Keisai Eisen - Die Station Narai (185/36). Abgebildet ist ein Geschäft für Kämme aus dem Holz der Eisenbirke.

Man reiste zu der Zeit meist zu Fuß. Räderkarren oder Kutschen waren verboten. Wer es sich leisten konnte, ließ sich in einer einfachen Sänfte tragen und den Sozialneid der Passanten über sich ergehen. Lasten und Güter wurden auf Packpferden oder auch von Trägern transportiert. Durchschnittlich benötigte man ca. 2 Wochen für den gesamten Kisokaido und stieg entsprechend seinem Geldbeutel in einfacheren oder luxuriöseren Herbergen ab. Die Stationen dieser Straßen dienten der Versorgung der Reisenden, vor allem der Unterbindung von Waffenschmuggel. Reisen waren nur mit Erlaubnis der Obrigkeit möglich, die an den Kontrollstellen geprüft wurde. Der Tenno auf dem Kaiserthron litt wohl unter Angstzuständen.
Die Holzschnitte zeigen die pittoresken japanischen Landschaften und japanisches Leben in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Man sieht Alltags- und Straßenszenen wie einen Streit unter Blinden, Frauen, die riesige Hanfballen tragen, traditionelle japanische Kleidung und Hüte, den verschneiten Wada-Paß (1646 m über dem Meer), heiße Quellen, den Suwa-See, Brücken über Bäche und Flüsse, gigantische Zedern, immer wieder Vulkane, Boote und Segelschiffe auf den Seen und vieles andere Alltägliche mehr. Die Serie endet mit der Darstellung der Hauptstraße von Otsu, in der vor allem auch Verlage zu sehen sind, wo Ochsen schwerbeladene Karren vom Hafen am Biwa-See die Straße hinauf in die Stadt ziehen.
 
Sachkundig und lebendig werden die Blätter und Stationen kommentiert. So erfährt der Leser, daß die Stadt am Ende des Kisokaido für Japan literaturhistorisch viel bedeutet, da hier, angeregt durch die Spiegelung des Vollmondes im See, Murasaki Shikibu(ca. 913-1014), ihren berühmten Roman Die Geschichte vom Prinzen Genji geschrieben hat. Über die Station Hosokute (in der heutigen Stadt Mizunami) wird berichtet, daß man sich nach zeitgenössischen Schilderungen die örtliche Delikatesse (in Hefe eingelegte, leicht geröstete Drossel) nicht entgehen lassen soll und daß Fukushima bereits damals ein gefährliches Pflaster war. Hier mußten schon Anfang des 19. Jahrhunderts die Reisenden mit Palisaden eingezäunte Kontrollstellen und Sperren passieren. Dabei ging es damals nur um Waffenschmuggel und Wegzoll, nicht um Folgen eines gigantischen Atomunfalls.


Keisai Eisen - Die Station Fukaya (1835), die bekannt war für zahlreiche Bordelle. Die Freier rechts waren damals schon finstere Gestalten
 
Die Geschichte der japanischen Holzschnittkunst wird eingehend erläutert. Im Anhang finden sich ausführliche Hinweise zu den einzelnen Stationen und Farbvarianten späterer Auflagen, wie auch zu Quellen und Vorzeichnungen der Tafeln. Edouard Manet, Vincent van Gogh, Gustave Courbet und die Impressionisten waren von den berühmten japanischen Holzschnittkünstlern zwischen 1750 und 1850 wie Katsushika Hokusai, Kitagawa Utamaro, Utagawa Hiroshoge und Keisai Eisen beeindruckt und inspiriert, schwappte doch die japanische Kunst in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts als Japonismus nach Europa. Noch das Titelbild des Erstdrucks von Claude Debussys „La Mer“ zeigte 1905 Hokusais „Große Welle“ vor Kanawaga. Der opulente, vorzüglich gedruckte Band läßt also nicht nur die Herzen von Liebhabern japanischer Kultur höher schlagen.
Andreas Marks gab diesen hervorragenden Band heraus. Nach dem Studium Ostasiatischer Kunstgeschichte leitet er seit 2013 das Clark Center für Japanese Art am Minneapolis Institute of Art. Unterstützt wurde er von Rhiannon Paget, die über japanische Kunstgeschichte in Sydney promovierte. Die begleitenden Texte sind in Englisch, Deutsch und Französisch wiedergegeben.
 
Hiroshige & Eisen – „Die neunundsechzig Stationen des Kisokaido“
(The Sixty-Nine Stations along the Kisokaido - Les soixante-neuf stations de la route Kisokaido) Andreas Marks (Herausgeber) und Rhiannon Paget. Druck nach der Kisokaido-Serie aus der Sammlung Georges Leskowicz. Directet and produced by Benedikt Taschen.
© 2017 Taschen, Japanische Blockbuchbindung (im Schuber), Größe 34,9x5,7x53,3 cm, ISBN-13: 978-3836539388.
100,- €.
Weitere Informationen: https://www.taschen.com
 
Interessante Ausstellungen zum Thema gibt es derzeit im Ostasiatischen Museum Köln und im Van-Gogh-Museum Amsterdam.

Redaktion: Frank Becker