Draußen vor der Tür

Kleists "Amphitryon" kurz und knackig - in einer Remscheider Premiere der Wuppertaler Bühnen

von Frank Becker
Frohe Zeitung!

Kleist kompakt
in einer Remscheider Premiere der Wuppertaler Bühnen



"Amphitryon",
Heinrich von Kleists Komödie um die Frage der Identität
konnte gestern in der Inszenierung von Gerd Leo Kuck überzeugen.


Inszenierung: Gerd Leo Kuck  -  Ausstattung: Philipp Kiefer  -  Dramaturgie: Wilfried Harlandt  -  Licht: Michael Friebele - Maske: Barbara Junge-Dörr  -  Fotos: Michael Hörnschemeyer

Jupiter: Thomas Braus  -  Merkur: Henning Strübbe  -  Amphitryon: Frederik Leberle  -  Sosias: Hans Richter  -  Alkmene: Maresa Lühle  -  Charis: Olga Nasfeter



Ein Alptraum

Ein Alptraum: Du kommst nach Hause - und bist schon da. Molière hat das Doppelgänger-Thema der antiken Sage nach Plautus, der noch das Tragische in den Vordergrund rückte, als Komödienstoff
 
Auch keine Lösung
Frederik Leberle, Maresa Lühle, Thomas Braus
1668 aufgegriffen, Adelbert von Chamissos Ballade "Erscheinung" behandelt das Grauen einer solchen Vorstellung und Heinrich von Kleist wiederum hat sich Molière zum Vorbild genommen. Reinhold Schünzels Verfilmung 1935 stellt einen Markstein der deutschen Filmkomödie dar. Zuletzt hat Peter Hacks sich in einer Neufassung für das deutsche Theater der Sache angenommen. Es steckt viel psychologischer wie philosophischer Sprengstoff darin, sich vor die Fragen gestellt zu sehen: Wer bin ich? Bin ich ich? Ist Ich ein anderer? - und für die Lösung auf die Gnade einer höheren Macht angewiesen zu sein. Dem Feldherrn der Thebaner, Amphitryon (Frederik Leberle) ergeht es genau so, als er vom siegreichen Feldzug gegen die Athener zurückkehrt. Denn während seiner Abwesenheit hat sich der faunische Zeus, hier unter seinem römischen Namen Jupiter (abgehoben: Thomas Braus) in Amphitryons Gestalt Zugang zu dessen Haus und vor allem zum Schlafgemach der Gattin des Feldherrn  verschafft - und behauptet in göttlicher Hybris diesen Platz neben Alkmene (etwas blaß: Maresa Lühle). Amphitryon sieht sich recht brutal mit der Frage seiner Existenz konfrontiert, während Jupiter mit Alkmene ein Kind zeugt.

Draußen vor der Tür

 
Amphitryon darf nicht rein - unten:
Frederik Leberle, oben: Henning Strübbe
Kleist schafft, den mythologisch-literarischen Vorbildern folgend auch die zweite, subalterne Ebene, auf der Amphitryons Diener Sosias (Hans Richter) frech von Jupiters Götterboten Hermes/Merkur (Henning Strübbe) bei wiederum dessen Ehegespons Charis (Olga Nasfeter) "vertreten" wird. Das Ganze spielt sich vor den Toren von Anphitryons Haus ab, das dem  Herren wie dem Diener verschlossen bleibt, bis die Götter geruhen, sich zurückzuziehen. Zurück bleiben ein - wenn auch von einem Gott - gehörnter Feldherr, eine mit einem göttlichen Wechselbalg schwangere düpierte Edeldame, ein etwas verwirrter, aber gar nicht mal so betroffener Diener mit einer eher geläuterten ehemaligen Kratzbürste als Gattin. Ende gut, alles gut? Keineswegs. Denn die Erkenntnis der eigenen Machtlosigkeit gegenüber der Willkür der Götter bleibt dem Amphitryon - das Erkennen der eigenen Verführbarkeit durch Glanz und Schmeichelei und das Bewußtsein, den eigenen Mann nicht gut genug zu kennen, der Alkmene. Mal ganz abgesehen von dem künftigen Halbgott, der in ihrem Uterus wächst.

Scharfe Schere und schauspielerische Höhepunkte

Wilfried Harlandt und Gerd Leo Kuck haben an Kleists Stück kräftig die Schere angesetzt, ihm eine knackige Kurzfassung von 90 Minuten ohne Pause verpaßt - und damit ein modernes Theaterstück von hohem Unterhaltungswert geschaffen, das gleichzeitig auch dem Schillerschen Ideal der
 
Wer bin ich? - Leberle, Braus, Lühle, Nasfeter
Schaubühne als moralischer Anstalt genügt. Das aufgebotene Ensemble des Wuppertaler Schauspiels legte sich bei der Premiere im Teo Otto Theater der Nachbarstadt Remscheid vor nur halbvollem Haus ordentlich ins Zeug. Frederik Leberles Heldenfigur mit nachhaltig beschädigtem Ego beeindruckte durch ihre Wucht und packende Lebendigkeit. Mit einigen hervorragenden Zeugnissen seiner Schauspielkunst gerade erst in Wuppertal so richtig warm geworden, verläßt Leberle das Ensemble zu Ende der Spielzeit in Richtung Krefeld. In der Rolle seines bauernschlauen Adlatus Sosias, der sein Fähnchen in den Wind zu hängen weiß und den Krieg als geübter Feigling im Zelt überstanden hat  glänzte in allerbester Manier der Allrounder Hans Richter, unangefochtener Publikumsliebling in Wuppertal, der ebenfalls mit Ende der Spielzeit geht: in den Ruhestand nämlich.
Er zieht aus Merkurs Eingreifen in sein Leben den größtmöglichen Nutzeffekt, wandelt sich vom Pantoffelhelden zum Mann - bis zum nächsten Zwischenfall vermutlich. Ein Komödiant und Charakterdarsteller von Gnaden, der dem Ensemble fehlen wird. Sein Sosias hatte viel von dem Witz, mit dem 1935 Paul Kemp die Figur in der Schünzel-Verfilmung unsterblich machte.

Olga schießt den Vogel ab

 
Weib, hör gut zu! - Olga Nasfeter, Hans Richter
Den Vogel aber schoß ganz gewiß Olga Nasfeter in der Rolle der Charis ab: voll sprühendem Humor hatte sie im blitzschnellen Wechsel von zuckersüßer Schmeichelei zur Kratzbürstigkeit bei ihren Auftritten stets die Nase vorn und die Sympathie des Publikums spürbar bei sich. Ein großes junges Talent, das eine bisher vorhandene Lücke im Ensemble brillant füllt. Als Komödiantin z.B. in "Der Snob" und dramatisch als Margarete in der großartigen Wuppertaler Faust-Inszenierung Christian von Treskows bereits überzeugend, zeigte sie einmal mehr ihre Qualität. Ein Gewinn für das Wuppertaler Schauspiel. Wenn sich Jupiter/Zeus unter prächtigem Theaterdonner auf den Heimweg zum Olymp macht, um daselbst wie Josias als Pantoffelheld vor Hera/Juno zu stehen und sich ob seines wiederholten Ausritts in fremde Betten schelten zu lassen (das Theaterstück verschweigt es uns, doch wir kennen ja unsere olympischen Pappenheimer), bleibt auf der Erde ein schaler Nachgeschmack zurück. Nicht der Inszenierung wegen, die ist tadellos - es ist die eigene Fehlbarkeit, die uns das Stück spiegelt. Wünschen wir ihm bei den folgenden Aufführungen mehr Zuschauer.

Die zweite Premiere im Wuppertaler Schauspielhaus findet am 26. April statt, zuvor ist "Amphitryon" am 9. April noch einmal in Solingen zu sehen.


Weitere Informationen unter: www.wuppertaler-buehnen.de