Begegnung mit dem Abgründigen

Hartmut Lange – „An der Prorer Wiek und anderswo“

von Frank Becker

Begegnung mit dem Abgründigen
 
Aus seinen früher hier vorgestellten Sammlungen von Erzählungen und Novellen wissen wir, daß Hartmut Lange das Spiel mit dem Unwirklichen, mit Zwischenwelten  liebt, das uns an Grenzen des Verstehens führt. Mit leichter Hand beherrscht der Autor das Spiel mit Schattenbildern, mystischen Erscheinungen, der Kraft der Imagination und der unbegreiflichen, zugleich Vertrauen und Schauer erweckenden Macht des Numinosen. Lange erzählt in seinem neuen Band „An der Prorer Wiek und anderswo“ von Menschen, die von Erscheinungen aufgesucht und begleitet, fast bis zur Besessenheit neugierig gemacht werden – und letztlich am Umbegreiflichen scheitern.

Die ersten fünf Novellen seines schmalen neuen Bandes führen in das einst mondäne Ostseebad Binz auf Rügen, wo uns die Erscheinung einer jungen Frau und das Rätsel um eine verfallende Sommer-Villa fesseln. Der „Mönch am Meer“ von Caspar David Friedrich entkommt in einer anderen Geschichte seiner Gefangenschaft im Bild und ein Mädchen begegnet in „Emily“ Freund Hein.
In den folgenden fünf Novellen lenkt der Erzähler die Schritte seiner Protagonisten nach Italien, Rom, die auf den Spuren der Antike und Johann Joachim Winckelmanns wandeln, auf Merkwürdigkeiten und Kriminelles treffen und eine phantastische Erscheinung haben, die Traum und Geschichte zerfließen läßt. Er nimmt in eleganten Schleifen in späteren Geschichten gelegentlich die Identität einer vorher von ihm sorgfältig beobachteten Peron ein – oder bekennt er sich nun dazu, schon immer jener gewesen zu sein?
 
Auch nach der Lektüre seines jüngsten Novellenbandes bleibt es bei meiner früheren Einschätzung: Hartmut Lange fesselt in seinen Novellen durch die vorandrängende, fatalistisch lakonische Unausweichlichkeit seiner Sprache derart, daß man seine Stücke wie dringend notwendige Nahrung aufnimmt. Er macht selbst offene Enden, unerfüllte Wünsche zu glasklaren Selbstverständlichkeiten. Das ist wieder Lesefutter für zehn Busfahrten, zehn Momente der Ruhe oder für einen stillen Abend zwischen Dämmerung und Traum. Eine Empfehlung der Musenblätter.
 
Hartmut Lange – „An der Prorer Wiek und anderswo“
Novellen
© 2018 Diogenes Verlag, 113 Seiten, gebunden, Ganzleinen mit Schutzumschlag - ISBN 978-3-257-0713-2
20,- €

Weitere Informationen: www.diogenes.ch