Im Ozean deines Haares...

„Liebe und Leid oder die Musik meines Lebens“

von Frank Becker

v.l.: Sandra Wilhelm, Freya Deiting, Silvia Munzon Lopez - Foto © Stefan Fries

Im Ozean deines Haares
 
Ein Nachmittag voller Liebe und Poesie
 
Eine Collage mit unterschiedlichen Textformen und Musik
Mit Silvia Munzon Lopez (Rezitation), Sandra Wilhelms (Gitarre), Freya Deiting (Violine)
 
Wenn die Musik der Liebe Nahrung ist,
Spielt weiter! Gebt mir volles Maß! daß so
Die übersatte Lust erkrank' und sterbe. –
Die Weise noch einmal! (...)
So voll von Phantasien
Ist Liebe, daß nur sie phantastisch ist.
(William Shakespeare, „Was ihr wollt“, 1. Akt, 1. Szene)
 
Einer meiner früheren Redakteure beim Tagblatt war der Meinung, die Schönheit einer Künstlerin habe nichts in einer Rezension verloren. Es käme einzig und allein auf deren Kunst an und nur auf diese. Es fiel mir gelegentlich redlich schwer, so scharf zu trennen, Schönheit vor Augen. Heute muß ich das nicht mehr, denn der Redakteur bin ich.
Und so darf ich sagen, daß das Musik/Literatur-Programm „Liebe und Leid oder die Musik meines Lebens“, das ein zahlreiches Publikum am vergangenen Sonntag in der Barmer Concordia erleben durfte, mit dem DUO ACIANO (Sandra Wilhelms/Gitarre und Freya Deiting/Violine) und der Schauspielerin Silvia Munzón López (Rezitation) ein überreiches Füllhorn an Schönheit von Texten, Musik und, notabene, der drei auftretenden Künstlerinnen präsentierte.
 
Wenn ein Programm vom ersten Akkord, vom ersten Wort an Seele hat, so wie dort mit Enrique Granados´ „Danza Espagnola Andaluza“ und Federico Garcia Lorcas „Poemas“, ist man als Zuhörer augenblicks gefesselt, ver- und entführt vom stimmungsvollen Klang der Saiten und der Hände, die sie elegant zu fast körperlichem Leben erwecken, vom Rausch der Worte und der wohlklingenden Stimme der schönen Sprecherin. Silvia Munzon Lopez ist eine ungemein berührende Leserin, die mit hinein nimmt in den vorgetragenen Text, die durch Stimmfarbe, Timbre, Mimik und Sprache der Augen die Poesie, das Feuer der sorgfältig ausgesuchten, flirrenden, teils saftig erotischen Texte aufs Intimste vermittelt. Der Humor, die Nochalance, der Machismo, die Sinnlichkeit der von Lorca, Pablo Neruda und Charles Baudelaire verfaßten Lyrik und Prosa funkelt aus ihren Augen, spiegelt sich beim Rezitieren vergnügt auf ihrem Gesicht. Text und Person werden zur Einheit.
Unter die Haut ging auch die Musik, vom DUO ACIANO mit höchster Delikatesse, Wärme und Temperament virtuos gestaltet. Granados´ „Danza Espagnola Oriental“, voller Melancholie dem köstlichen „Die untreue Frau“ vorangestellt, die temperamentvolle „Sevillana“ Lorcas, passen du Nerudas „Tango des Witwers“, träumerisch, fast unwirklich Manuel de Fallas „Asturiana“ zu Baudelaires „Die halbe Welt in deine Haar“ und sein „La Vida Breve“ ebenfalls an Baudelaire gelehnt. Geschichten über Liebesbeziehungen, in denen es manchmal traurig, leidenschaftlich, komisch, poetisch oder grotesk zugeht. Ein Vergnügen, mit dem Blick den Händen der Musikerinnen zu folgen, ihn auf den in Leidenschaft konzentriert entrückten Gesichtern ruhen zu lassen.


v.l.: Sandra Wilhelm, Freya Deiting - Foto © Stefan Fries
 
Nach einer Pause widmete sich das erlesene Programm „La Piaf“, der unvergleichlichen Chansonette Edith Piaf und ihrem Pianisten und zeitweiligen Geliebten Norbert Glanzberg. Einen faszinierenden Kontrast zu den Aufzeichnungen Astrid Freyeisens und Michel Rivegauches zum Leben, Lieben und den Exzessen der Piaf, voller Leben und Empathie von Silvia Munzon Lopez gelesen,  gestalteten Sandra Wilhelms und Freya Deiting mit traumhaften Interpretationen von Fritz Kreislers „Liebesleid“ und „Liebesfreud“, Ohrwürmer wie Jules Massenets „Thais-Meditationen“ und Angel Cabrals „La Foule“. Wer kennt nicht die ewigen Stücke der Piaf, ihr „Milord“, ihr „Non, je ne regrette rien“, „La Foule“; „Sous le ciel des Paris“, „Embrasse-moi“ oder „Browning“ – aber wer kennt ihre seelischen Abgründe? Die Lesung vermittelte den Menschen Piaf auf tief berührende Weise.
Anfangs schrieb ich: Wenn ein Programm Seele hat... – dieses hatte. Und es hatte Schönheit. In Wort und Klängen, in Händen und Gesichtern.
Das dankbare und spürbar berührte Publikum lohnte mit anhaltendem Applaus die rare Leistung der Künstlerinnen – und wurde mit einer kleinen instrumentalen Zugabe verabschiedet. Ein perfekter, genußreicher Nachmittag, der beweis, daß Kunst glücklich machen kann - und in Erinnerung bleiben wird.
 
Eine Welt in deinem Haar
 
Laß mich lange, lange den Duft deines Haares einatmen, mein ganzes Gesicht hineintauchen, wie ein Dürstender ins Wasser einer Quelle, und es in meiner Hand schwenken, wie ein duftendes Taschentuch, um Erinnerungen in die Luft zu schütteln.
Wenn du wissen könntest, was alles ich sehe! Was alles ich errieche! Was alles ich in deinen Haaren höre!! Meine Seele wandert auf dem Duft, wie die Seele der anderen .Menschen auf der Musik. Deine Haare bergen einen ganzen Traum, voll von Segeln und Masten, sie bergen große Meere in sich, deren Monsune mich zu entzückenden Küsten tragen, wo der Himmel blauer und tiefer ist, wo die Luft von den Früchten, von den Blättern und von der Haut der Menschen duftet.
Im Ozean deines Haares ahne ich einen Hafen, wimmelnd von schwermütigen Gesängen, von starken Männern aus allen Völkern und von Schiffen jeder Gestalt, die sich mit ihren feinen und ineinander geschlungenen Formen gegen einen unermeßlichen Himmel abheben, an dem die ewige Glut sich prahlend spreizt.
In den Liebkosungen deines Haares finde ich die Mattigkeiten der langen Stunden wieder, die ich auf dem Divan in der Kajüte eines schönen Schiffes erlebte, Stunden, gewiegt von dem unmerklichen Wellenschlag des Hafens, zwischen den Blumentöpfen und den Krügen mit erfrischenden Säften. In dem glühenden Herd deines Haares atme ich den Duft des Tabaks, mit Opium und Zucker vermischt; in der Nacht deines Haares sehe ich die Unendlichkeit der tropischen Himmelsbläue glänzen; auf den flaumigen Ufern deines Haares berausche ich mich an den durcheinander wehenden Düften von Teer, Moschus und Kokosnußöl. Laß mich deine schweren, schwarzen Flechten lange beißen. Wenn ich an deinen geschmeidigen und widerspenstigen Haaren knabbere, ist es mir, als ob ich Erinnerungen äße.
 
Charles Baudelaire - Prosadichtungen
übersetzt von Walther Küchler – Verlag Lambert Schneider 1947


Eine Veranstaltung der Gemeinschaft der Künstlerinnen und Kunstförderer e.V.
Gruppe Wuppertal (GEDOK)