Charons Ruf

Muriel Spark – „Memento Mori“

von Frank Becker

Charons Ruf
 
Memento moriendum esse.
Wie geht man als Autor am besten mit dem Tod – einem Lieblingsthema der Literatur - um, der uns zweifelsfrei irgendwann ereilt? Satire ist Muriel Sparks Methode in ihrem Roman „Memento Mori“, denn die oft drastisch komische Handlung, die sie um ihr skurriles Personal entwickelt, ist durchgehend mit tiefschwarzem Humor erzählt. Sie setzt bei jenen an, die vor 60 Jahren, als dieser Roman entstand, im allgemeinen Verständnis noch dichter am Lebensende standen, als das heute dank moderner Medizin, neuen Erkenntnissen der Gesundheitsfürsorge und fortschrittlicher Medikation der Fall war. Es ist ein wenig kompliziert, sich in dem durch sich kreuzende Lebensfäden und -wege verbundene Personal der englischen Upper Class hindurchzufinden, doch es macht ein Heidenvergnügen, das „Wer mit Wem“, die Erbschleichereien, Erpressungen, Abhängigkeitsverhältnisse, geheimen Lüste und mannigfaltigen Intrigen aufzudröseln. Wir lernen demente, hinfällige, skurrile, aber auch resolute und höchst aktive Alte kennen, hinter die sukzessive Freund Hein tritt.
 
Dessen Jedermann-Ruf „Bedenke, daß du sterben mußt“, zieht sich als roter Faden durch das gelegentlich makabre, meist jedoch spitzfindig amüsante Geschehen, wobei der Rufer sich zeitangepaßt der Erfindung des Telefons bedient. Höflich, aber nachhaltig. Wir sehen es an der Zahl der Personen, die erwählt werden, nach und nach unter seiner Sense zu fallen. Muriel Spark war 40 Jahre alt, als sie dieses weitsichtige, teils verständnisvoll milde, teils bitterböse decovrierende Buch schrieb. Mit 88 Jahren ist sie 2006 in Florenz dem Ruf Charons gefolgt.

Muriel Spark – „Memento Mori“
Aus dem Englischen von Andrea Ott
Originalausgabe: Memento Mori
Macmillan Publishers, London 1959

© 1960/2018 Diogenes Verlag, Zürich, 295 Seiten, Leinen mit Schutzumschlag, mit einem Nachwort von A.L. Kennedy   ISBN: 978-3-257-07004-0
24,- €  
Weitere Informationen: www.diogenes.ch