Seh-Reise (7)

Siebte Ausfahrt: Luxor

von Michael Zeller

Michael Zeller - Foto © Frank Becker
Michael Zeller: Seh-Reise (7)
 
Mit Bildern durch das Jahr
 
7. Ausfahrt: Luxor
 
So also sieht es aus, wenn Götter unter sich sind, im stillen Kämmerlein.
Vor einem Goldgrund – wovor denn sonst – sind sie einander zugewandt, ob Mann, ob Frau: Die Trennung hat ihr Gewicht verloren. Sie reden sich an mit einer unendlich feinen (erlesenen) Gebärdensprache, die nur bei lautlosester Stille zu denken ist. Niemand von uns gemeinen Irdischen darf Zeuge sein dieses stumm-beredten Austausches zwischen zwei göttlichen Wesen.
Dafür war es bestimmt: Geheim zu bleiben vor den Menschen. Und mehr als dreitausend Jahre lang hat das Bild sich wirklich verborgen vor seinem Auge, tief eingesenkt unter Erde und Sand, in völliger Nacht. Über dreißig Generationen hinweg waren die Götter für sich und unter sich, bis das neugierige Menschlein es nicht länger aushielt und an der Wand kratzte und die Luft des Alltags hineinließ in die Grabkammer ewigen Lebens, und Licht, das gleißend zerstörerische Licht unserer Welt. Zweihundert Jahre sind allenfalls vergangen, seit dieser Einbruch geschah. Das heilige Paar ward nach außen gezerrt und millionenfach unters Volk gebracht. Und jetzt hat es für eine Woche den blassen Abglanz dessen, was es einmal war, in meine profane Teeküche gebracht, in einer Mietwohnung des einundzwanzigsten Jahrhunderts.

Das Bild der beiden Hohen auf Gold, die vergöttlichte Menschen sind oder Götter in Menschengestalt, ist eine ägyptische Grabmalerei aus dem Tal der Könige, bei Luxor. Zwei Pharaonen im Tete à tete nach der Machtübernahme auf dem Königsstuhl. Links, ganz in Weiß, Tut Ench Amun, mit seinem Tod unter die Götter versetzt, als einer der Ihren. Auf dem Kopf trägt er die Haube des Oriris, am Kinn seinen Knebelbart. Ihm gegenüber, stehend wie er, sein Nachfolger als Pharao, König Eje, das Leopardenfell über die nackten Schultern geworfen, ebenso wie das Diadem über der Stirn Zeichen der neu erworbenen Macht. Zwischen seinen zarten Händen im Rot des Lehms, aus dem wir Menschen sind, hält er ein schwarzes Gerät, eine Art Hebel. Mit ihm wird er Tut Ench Amun gleich den Mund öffnen, daß die Seele des Verstorbenen entweichen kann, die Seele eines Menschen, deren er unter den Göttern nicht mehr bedarf.


Malerei  an der nördlichen Grabkammerwand von Pharao Tut Ench Amun, um 1350 v..u.Z. -  Luxor, Tal der Könige 

Ein Staatsakt im ägyptischen Pharaonenreich, eine religiöse Gründung – dreitausend Jahre lang war diese hochbedeutende Szene eingefroren, stillgestellt und den Blicken aller Welt entzogen. Und war doch da, verborgen, geheim, sollte die Götter gnädig stimmen für das Land und die Leute. Daß das Wasser des Nils pünktlich Jahr um Jahr die Felder mit seinem Schlamm fruchtbar mache.
Heute gibt es Kunstdünger dafür, von der Wissenschaft erfunden. Erst hat der Mensch sich die Götter geschaffen, dann hat er sie überflüssig gemacht. Und nichts ist mehr geblieben von der Lebensfrömmigkeit damals als gerade noch ein Hauch Kunstfertigkeit. Aus Kultus ist Kultur geworden, aus dem Zeichen wurde Dekoration. Von so unglaublicher Feinheit und maltechnischer Finesse allerdings, daß das Menschlein sich wie ein kleiner Gott fühlen kann, Teil dieser Gattung und ihrer reichen Gaben sein zu dürfen, für eine kurze Weile.
Und selbst noch auf der lächerlichen Postkarte, dem abermillionsten Abklatsch, sind Überraschungen zu machen: Der nackte Nabel von König Eje, entdecke ich unter der Lupe, hat die Form eines Gingkoblattes.
 
Nachtrag
 
Einen Tag, nachdem ich das Götterpaar in meiner Küche abgehängt habe, erfahre ich morgens in den Kulturnachrichten des Rundfunks: In Kairo sind einige Stücke aus dem Schatz des Tut Ench Amun wieder dem Nationalmuseum zurückgebracht worden, wenn auch in stark beschädigter Form - anonym, wie sie vor Wochen aus dem Museum verschwunden waren, während der Proteste der ägyptischen Bevölkerung gegen ihre politische Führung. (Der damalige Direkter des Museums ist mittlerweile ebenfalls abgelöst worden).
Am Mittag, bei den politischen Neuigkeiten: Der entmachtete Präsident Ägyptens, Hosni Mubarak, bisher unter Hausarrest, ist heute, zusammen mit seinen beiden Söhnen, in Untersuchungshaft genommen worden, für zwei Wochen erst mal. Seine Nachfolger versuchen, ihm den Mund zu öffnen. Ob sie seine Seele erreichen werden?
Das ewig alte Spiel um Macht und Nachfolge. Von den Kämpfen am Pharaonenhof seinerzeit, 1350 vor unserer Zeit, in den Tagen Tut Ench Amuns und Ejes, ist eine elegisch vornehme Geste geblieben, mit lächelnden Gesichtern: die Zeremonie des „Mundöffnens“, auf die Wand der Grabkammer für den entthronten Herrscher gemalt. Und keiner sollte es je sehen dürfen, auf immer und ewig. Nur die Götter.
 
Redaktion: Frank Becker