„Kameraden, das nächste Mal besser!“

Die Revolte der Matrosen der K.u.k. Kriegsmarine in Cattaro im Februar 1918

von Jürgen Koller

© 1988 Reclam Leipzig
„Kameraden, das nächste Mal besser!“
 
Die Revolte der Matrosen der K.u.k. Kriegsmarine
in Cattaro im Februar 1918
 
Selbst ein historisch Interessierter hat die österreichische Kriegsmarine von 1914 eher nicht im Fokus. Und doch besaß die Doppelmonarchie eine schlagkräftige Marine, die auch über moderne Schlachtschiffe verfügte, angelehnt an die britische Dreadnought-Klasse. Nach dem Abfall Italiens von den Mittelmächten im Jahre 1915 verlor die K.u.k. Marine einen auf Sizilien geplanten Stützpunkt. Sie führte zwar noch einige siegreiche Gefechte gegen Italiens Adria-Marine, aber nachdem die Entente-Mächte Frankreich und Großbritannien die Adria in Höhe des italienischen Stiefelabsatzes gesperrt hatten, lag die Flotte die meiste Zeit in den Kriegshäfen Triest, Pula und Cattaro vor Anker. Unter dem Eindruck der russischen Februar-Revolution von 1917, der Kriegsmüdigkeit der Bevölkerung in der Monarchie, der Hungersnot im Lande und der nicht vorankommenden Friedensverhandlungen mit dem bolschewistischen Russland in Brest-Litowsk streikten in Wien-Neustadt im Januar 1918 150.000 Rüstungsarbeiter, größere Streiks gab es auch in anderen Städten, u.a. in Graz, auf den Werften von Triest oder im Arsenal von Pula. Als die Streikwelle durch Beschwichtigungen der SPÖ bereits wieder abflaute, kam es unter Führung des deutsch-böhmischen Bootsmannsmaats Franz Rasch auf dem Flaggschiff SMS St. Georg in Cattaro zu einer Meuterei. In Absprache mit allen Schiffsbesatzungen hissten am 1. Februar, 12.00 Uhr mittags, die 6000 Matrosen von Cattaro auf ihren Schiffen die rote Flagge der Revolution. Die Offiziere wurden festgesetzt, Matrosenräte gewählt und ein Zentraler Matrosenrat, der für alle Matrosen sprach, erstellte einen Forderungskatalog – die wichtigste Forderung: Einleitung sofortiger Friedensverhandlungen, dazu für die Marine: Ausreichende Menage, gleiches Essen für Mannschaften und Offiziere, Wahl von Vertrauensleuten, die Essen und Kleidung, Strafen und Urlaub überwachen sollten. Der Zentrale Matrosenrat setzte per Funk Telegramme an die Sozialdemokratie in Wien und nach Budapest ab, mit der Bitte um Unterstützung. Aber dort reagierte man nicht auf den Matrosen-Aufstand. In den folgenden Stunden des Abwartens kam es zu eklatanten Fehlentscheidungen seitens der Führung des Aufstandes – ein Auslaufen der Flotte wurde unterbunden. Bereits am zweiten Tag konnten sich die Offiziere frei auf ihren Schiffen bewegen. Einigen gelang es, mit Drohungen und Versprechungen das Kommando wieder zu übernehmen. Nach dem Eintreffen des Geschwaders aus Pula – unter Kriegsflagge - zeigten neben dem Kreuzer St. Georg nur noch 7 Schiffe die rote Flagge. Tags darauf um 8.00 Uhr wurde der Aufstand beendet, weil die Festungsartillerie und die Schiffe aus Pula die Aufständigen zusammengeschossen hätten, eine Flucht in die Adria war vertan worden. Die Mitglieder der Matrosenräte – insgesamt 800 Männer - wurden festgenommen. Das Standrecht wurde über 40 „Haupträdelsführer“ verhängt. Vom Standgericht wurden vier Todesurteile ausgesprochen – Franz Rasch und drei seiner Mitkämpfer wurden am 11. Februar 1918 an einer Friedhofsmauer von Cattaro hingerichtet, die anderen Verhafteten wurden dem Kriegsgericht überantwortet. Bis zum Tag des Zusammenbruchs der Doppel-Monarchie wurde vor dem Kriegsgericht noch gegen 31 Männer verhandelt. Diese Revolte der Matrosen von Cattaro wäre längst der Vergessenheit anheim gefallen, hätte nicht im Jahre 1930 der deutsche Dramatiker Friedrich Wolf sich dieses Stoffs für ein dramatisch-tragisches Bühnenstück angenommen.


SMS St. Georg 1914

Friedrich Wolf, 1888 in Neuwied/ Rheinprovinz in einer sephardischen Kaufmannsfamlie geboren, studierte Medizin, Philosophie und Kunstgeschichte. Ab 1913 bis Kriegsbeginn fuhr er als Schiffsarzt auf der Linie Kanada-Grönland-USA. Von 1914 bis 1918 diente er als Truppenarzt an der West- und Ostfront, dabei mehrfach verwundet, auch verschüttet. Ab 1920 bis 1921 war er Stadtarzt in Remscheid, während der Ruhrkämpfe führte er als „roter General“ eine bewaffnete Arbeiter-Hundertschaft gegen die Kapp-Putschisten. Parallel zu seiner beruflichen Arbeit als Arzt schrieb er in den 20er Jahren erfolgreiche Bühnenstücke und später Hörspiele für den Funk. Das Bauernkriegsdrama „Der arme Konrad“ (1923), besonders aber sein sozialkritisches Stück Cyankali (1929) gegen den Abtreibungs-§ 218 machten ihn im In-und Ausland als Dramatiker bekannt. Wohl wissend, daß ein Drama, das die gescheiterte deutsche November-Revolution von 1918 zum Gegenstand hätte, keinen Erfolg beim Publikum versprach, wählte er sich die Revolte der K.u.k. Matrosen von Cattaro als Sujet. Vorbild für den Dramatiker waren mit einiger Gewissheit der Eisenstein-Film „Panzerkreuzer Potemkin“ und der Aufstand der Kronstädter Matrosen von 1917. Wolfs Stück ist keine Dramatisierung der Revolte im Detail, sondern die Herausarbeitung der Konfliktsituation zwischen den Mannschaftsdienstgraden aus allen Ländern der Monarchie und dem deutsch sprechenden Offizierskorps des Kreuzers SMS St. Georg. Das Stück folgt der aristotelischen Dramaturgie in Einheit von Ort, Zeit und Handlung – was sich auf einem Kriegsschiff ja geradezu anbietet. Der Zuschauer sollte in der Katharsis mitfühlend geläutert werden, zugleich verstand aber der Autor sein Drama als Lehrstück: Ein Aufstand, so Wolf, bedingt eine konsequent handelnde Führerpersönlichkeit, eine strategische Zielvorgabe, um die Massen hinter sich zu bringen und die Bereitschaft, gegebenenfalls militärische Gewalt einzusetzen. Aber Wolf redete einem 'revolutionären Terror' wie es Robespierre oder Lenin einforderte, nirgends das Wort. Eine Revolte ist kein demokratisches Abstimmen über das Für und Wider. Das Scheitern der Matrosenrevolte lag in der Unentschlossenheit der Aufstandsführung und in der stundenlangen Diskussion zur Herbeiführung demokratischer Mehrheitsbeschlüsse. Die älteren Mannschaften, die Familie hatten, wollten sofort abmustern, die Jüngeren scheuten einen blutigen Waffengang. Letztlich waren sie in ihrer Kampfunerfahrenheit gewillt, dem Fregatten-Kapitän zu glauben, der psychologisch geschickt Straffreiheit versprach. Dem Autor war es gelungen, die Akteure als lebendige Helden zu charakterisieren und nicht als „Sprachröhren des Zeitgeistes“. Franz Rasch als der Anführer wird differenziert in seinem Wollen zum Erfolg, aber auch in seinen Zweifeln und in seinen Fehlern gezeigt - nämlich das demokratische Entscheiden des Matrosenrates abwartend. Unter den Matrosen sind proletarische Typen, denen an leichterem Dienst und besserem Essen mehr liegt als an Freiheit, aber auch klug und vernünftig handelnde Akteure werden vorgestellt. Selbst der Kapitän ist kein unbeherrschter „harter Hund“, nur den Leutnant zur See erleben das Personal auf der Bühne und die Zuschauer als Leuteschinder übelster Art. Es ist das künstlerische Verdienst Wolfs, keine Schwarz-Weiß-Malerei zugelassen zu haben, obwohl manches plakativ wirkt. Die Bühnensprache ist nicht wienerisch gefärbt, sondern eher getragen vom maritimen Jargon ausgepuffter See-Leute. Die Uraufführung des Stücks 1930 in der Berliner Volksbühne am Bülowplatz mit Ernst Busch in der Rolle des Franz Rasch war ein glänzender Erfolg. Dazu hat auch das kongeniale Bühnenbild beigetragen, das einen stilisierten Panzerkreuzer vorstellt, mit möglichen Spiel-Szenen bis hinauf in die Mastspitzen. Neben den linken Zeitungen (u.a. „Linkskurve“, „Vorwärts“) waren selbst die liberalen Berliner Blätter (u.a. „8-Uhr-Abendblatt“) voll des Lobes über die Inszenierung, nur Hugenbergs deutsch-nationaler „Berliner Lokalanzeiger“ schrieb: „Volksbühne-Hetzbühne“...

Nach dem Volksaufstand von 1953 wurde das Stück auch in der DDR kaum noch inszeniert. Die Machthaber wollten nicht die letzten Worte des verhafteten Franz Raschs, „Kameraden, das nächste Mal besser“ und an den Leutnant gerichtet, „das ist nicht das Ende, Leutnant, das ist erst der Anfang!“ als Aufforderung zum Handeln im Realsozialismus verstanden wissen.