Von Menschen und vom Respekt

Erwin Grosche – „Der alte Mann und sein Hund“

von Frank Becker

Von Menschen und vom Respekt
 
Wirklichkeit und Literatur werden
in Erwin Grosches Geschichten eins.
 
 
„Sie wollten nur um die Ecke gehen,
aber auch um die mußte gegangen werden.“

Tag für Tag verläßt der alte Mann das Haus, um seinen Hund auszuführen. Er durchwandert mit offenen Augen, wachem Blick für das Alltägliche und feinem Gespür für das Besondere
Paderborn wie einst Sigi Sommers Spaziergänger Blasius München. Hund und Herr ersteigen den Monte Scherbelino und durchstreifen den Haxtergrund – eigentlich  mit dem heimlichen Ziel, schließlich bei Herrn Weyher zu Kaffee und Apfelkuchen (mit Sahne, versteht sich) einzukehren. Dort ist nämlich die Welt noch in Ordnung. Die beiden sind in den Geschichten Erwin Grosches nicht Herr und Hund mit dem üblichen Autoritätsgefälle, sie sind eine leise, wortlose Symbiose eingegangen, denn keiner könnte ohne den anderen.
 
Wer selber mit Hund oder allein spazieren geht, kennt das Phänomen, das Erwin Grosche schildert. Kaum aus der heimischen Tür getreten, verselbständigen sich die Gedanken in Nullkommanichts, lösen die Eindrücke der Umgebung neue Gedankenketten aus, werden Hund und Mann Teil des sie umgebenden Kosmos. Begegnungen auf dem Weg werden zu Ereignissen, gewechselte Worte zu Pointen. Erwin Grosche beherrscht das Spiel mit Wort und Wirklichkeit in Perfektion.
Erwin Grosches alter Mann denkt auf seinen Wanderungen über Liebe, Marotten und Karneval, über Alter und Tod, Weyhers Apfelkuchen und Hawaiitoast nach, über eine zeigerlose Bahnhofsuhr und Philosophie. Welch ein Verlust doch das Ende des Dom-Cafés war! Taxi Hermesmeyer regt zu Wortspielen an und eine geschlossene Bahnschranke die Wartenden zu Reflexionen über das eigene Leben. Wirklichkeit und Literatur werden eins.
„Da blickt jemand in die Ecken und Hinterhöfe, die man sonst keines Blickes würdigt“, heißt es im Klappentext des wundervollen, herzenswarmen Buches zutreffend. Und mehr noch, er blickt auch in die Köpfe und Seelenzustände seiner Mitmenschen, von denen etliche wie er tatsächlich Paderborn durchstreifen. Genau das macht den Reiz aus – der Leser spürt die Wahrhaftigkeit der Inhalte, paßt sich mit eigenem Vergnügen dem Schrittmaß des Spaziergängers an und weiß, wenn er selbst das nächste Mal vor die Tür geht, könnte er dem alten Mann und seinem Hund begegnen.
 
Juliane Befeld hat mit ihren Schwarzweißfotografien treffsicher die Atmosphäre eingefangen, die Erwin Grosches Geschichten so nah und in ihrer Alltäglichkeit so besonders machen. Vieles hätten wir selbst so erleben können, haben es ja vielleicht sogar.
Musenblätter-Leser kennen den alten Mann natürlich, denn seit 2014 haben wir sporadisch 12 der insgesamt 24 Geschichten aus Erwin Grosches Buch veröffentlicht. Vom Verlag schön gestaltet, ist diese Sammlung von Erzählungen unsere Empfehlung und unser Prädikat, den Musenkuß wert.
 
Erwin Grosche – „Der alte Mann und sein Hund“
Warum der Hawaiitoast auch schon bessere Zeiten gesehen hat
© 2017 Bonifatius GmbH, 136 Seiten, Gebunden, 18x18 cm, mit Fotos von Juliane Befeld und Paderborner Glossar - ISBN-13: 9783897107373
14,90 €
 
Weitere Informationen:   www.bonifatiusverlag.de  -  www.erwingrosche.de