Seh-Reise (4)

Vierte Ausfahrt: Moritz von Schwindt

von Michael Zeller

Michael Zeller - Foto © Frank Becker
Michael Zeller: Seh-Reise (4)
 
Mit Bildern durch das Jahr
 
4. Ausfahrt: Moritz von Schwindt
 
 
Der „Einsiedler, Rosse tränkend“ – stünde er nicht im Titel, er wäre kaum zu erkennen auf dem Bild. Ein Wald, tiefer Wald, in mehreren Schichten sich öffnend und verschließend, Felswände, Schluchten, Nischen, Abbrüche. Graues Gestein, schroff aufragend, Tannen, Gesträuch.
Als Augenfang in dieser mitteleuropäischen Urlandschaft die beiden Pferde, in Seitenansicht gegeben: ein Schimmel, den Kopf zum Wasser geneigt, saufend, dahinter, halb verdeckt, ein Rappe. Dieses Schwarz und Weiß – ein markanter Kontrast. Eingezwängt zwischen den beiden Pferdeleibern steht der Einsiedler. Kaum mehr ist von ihm zu sehen als die spitze Kapuze seiner Kutte überm Kopf, in stumpfem Grau, leblos gegen die Grautöne des vorbeifließenden Wassers. Kein Licht berührt diesen Wichtel, nicht ein Strahl. Sein Gefährte (ebenfalls im Mönchsgewand) hat sich in den Schatten gelegt, vor einer Felsspalte.
Vielleicht  geht auch deshalb eine so große Ruhe von diesem Bild aus. Man hört nichts in dieser Waldeseinsamkeit, selbst keinen Vogel. Auch das Wasser, das zwischen den zwei Felswänden vortritt und sich ganz vorn, am Bildrand, über Steinbrocken nach unten stürzt, tut das vollkommen lautlos. Und der Mensch, das Menschlein, hat sich entschlossen, für einmal nicht, wie gewohnt, den Störenfried zu spielen. Weil er ein besonderer Mensch ist. Ein Einsiedler. Der lauten Welt, dem Miteinander mit seinesgleichen hat er den Abschied gegeben, sich zurückgezogen in die
Einsamkeit von Wald und Natur. Die einzige Verbindung zum Leben draußen sind (solange der Gefährte schläft) diese beiden Pferde. Es wirkt nicht so, als könne oder wolle er sie beherrschen. Kein Rossebändiger, eher ein Pferdeknecht. Daß er gleich, zusammen mit dem anderen, aus diesem Bild, dem Moment von Stille, herausreiten sollte, hoch zu Roß, kann ich mir gar nicht vorstellen. Schon gar nicht wünschen. Er gehört hierher. Hier sollte er bleiben.
 
Es ist ein überaus gemütsstarkes Bild. Der Maler versteht sich darauf, im Betrachter die alten Sehnsüchte wachzurufen, weit über seine eigene Zeit hinaus. Es muß so etwas wie der Wunsch nach Friede und Eintracht mit der Natur uns Menschen eingeboren sein. Ich kann es bezeugen. Die Postkarte des Gemäldes von Moritz von Schwind, „Einsiedler, Rosse tränkend“, befindet sich seit einem halben Jahrhundert in meinen Händen (und dennoch kaum vergilbt). Schon als Schüler, der das Bild in einem Aufsatz zu beschreiben hatte, war die gleiche Sehnsucht in mir beim Anschauen der Szene von Mensch und Tier in der Einsamkeit des Waldes. Zwischendurch hatte ich das zu denunzieren gelernt als rückwärtsgewandte Flucht aus der Welt, als Versagen vor den Forderungen der Gegenwart, und für eine Weile meines Lebens habe ich es auch so geglaubt. Da galt für mich allein eine Malerei, die die Industriearbeit in den Großstädten Europas sich zum Thema nahm, und ich hielt dieses romantisch verklärte Mittelalter à la Moritz von Schwind in der Romantik für eine überholte Klamotte, kaum weniger „überwunden“ als der verschollene kindliche Schulaufsatz aus der Quarta (ja, seinerzeit „überwand“ man gern).
Auch die Augen des Menschen haben lange Wege zu gehen, ein Leben lang. Vielleicht nicht das schlechteste, wenn es auf der Zielgeraden wieder in die Kindheit mündet.
 
Moritz von Schwind, Einsiedler, Rosse tränkend - Schackgalerie, München
 
Redaktion: Frank Becker