Der Faust in der Tasche

Goethes Opus magnum am TiC-Theater

von Frank Becker

Sexy Hexy ruft die ganze Stadt…
oder
Der Faust in der Tasche
 
Goethes Opus magnum in einer volksnahen Inszenierung
 
Inszenierung: Ralf BuddeBühne: Jan BauerdickKostüme: Noëlle-Magali WörheideMaske: Christin Korte – Regieassistenz: Mirca Szigat
Besetzung: Heinrich Faust (Robert Cramer) – Mephistopheles (Christof Heußel) – Margarete (Luisa Herget) – Wagner/Valentin (Christopher Geiß) – Handwerksburschen / Studenten / Hexen etc. (Theresa Achilles, Judith Jaskulla, Yasemin Peken) – Marthe Schwerdtlein (Mirca Szigat) – Gott, der Herr (Michael Baute)
 
Der „Faust“ ist immer ein Wagnis. Gleich, ob in einem anerkannten Theater von Rang, auf einer Provinzbühne oder wie hier in einem semi-professionellen Laien-Theater. Viele haben sich an den Faust gewagt, geblendet vom großen Namen und dem „Habe doch ach…“-Monolog. Einige haben geglänzt, viele sind gescheitert. Und oft, sehr oft hat Mephisto den Doktor Faust aus dem Feld geschlagen – nicht ohne Grund hat weiland Gustaf Gründgens, eines der Genies des deutschen Theaters, den Mephistopheles unvergessen zu seiner Lieblingsrolle gemacht.
 
Nun also eine kleine, notabene feine Bühne – das TiC-Theater in Wuppertal. Seit ein paar Jahren nimmt man dort neben gehobenem Boulevard, Kriminalstücken, dem Kanon des zeitgenössischen Theaters, dem Drama der Gegenwart und dem Blockbuster-Musical das Schauspiel der deutschen Klassik in den Spielplan auf – und bietet es publikumsnah an. Mit Erfolg, wie „Der zerbrochne Krug“, „Romeo und Julia“, Kabale und Liebe“ oder „Hamlet“ belegen. Aber „Faust“? Wie werden sein Studierzimmer, der Osterspaziergang, Auerbachs Keller, die Walpurgisnacht, Hexensabbat und der HErr nebst seinem Himmel auf eine vertrackt kleine Bühne gebracht? Ralf Budde und seine Assistentin Mirca Szigat wußten Rat. Man streicht, speckt ab, reduziert und komprimiert. Heraus kommt ein „Faust in der Tasche“, Reclam eingedampft, kurz und knapp. Wer hätte je Goethes „Faust 1“ in zweimal 55 Minuten über eine Bühne gepeitscht? Das muß man sich erst einmal trauen.
 
Nach dem Verzicht auf Zueignung, Vorspiel auf dem Theater und Teilen des Prologs im Himmel wirft eine ideenreiche Bühne (Jan Bauerdick) mit den als Menetekel an die Wand gezeichneten Grundlagen der Kulturen: Bilder, Formeln, Zeichen, Zahlen, Schriften, Worten, Symbolen, die alles umreißen, was wir glauben zu wissen und zu kennen, den Besucher ins Geschehen. Eine Grundlage, um Faustens großen Monolog darauf aufzubauen – aber nur für den, der den „Faust“ kennt.
Was folgt, ist Globe-ähnlich eine bisweilen burleske, ja groteske (zum Anbeten komisch der Pudel-Wurf nach dem Osterspaziergang) volksnahe Kurzfassung des vermeintlich größten Dramas der Literaturgeschichte. Da tut eine mutige Bearbeitung wie diese geradezu gut – weg mit dem Muff… Das beginnt mit köstlicher Ironie, die den hehren Doktor Faust (Robert Cramer) auf Socken und im (klein)karierten Schlafanzug auftreten läßt, während sich ihm ein eloquenter Mephistopheles (Christoph Heußel) aufdrängt, um seine Wette mit dem HErrn siegreich einzulösen. Der weltferne Wissenschaftler giert nach physischer wir metaphysischer Erfüllung. Er will saufen, feiern, sich berauschen und er will f…… - vor allem die unschuldige Margarethe (liebreizend fürwahr: Luisa Herget) ist sein zartes Traumziel. Die macht ihren Job als verführte Unschuld mit biedermeierlich hochgeschnürtem Busen hervorragend. Mephisto tut, was ihm möglich ist und setzt sich dabei dem gurrenden Begehren der reschen Witwe Marthe Schwerdtlein aus. Da zeigt das Drama seine burleske Seite.
 

Schönes Fräulein, darf ichs wagen...! - v.l.: Christoph Heußel, Luisa Herget, Robert Cramer - Foto © Martin Mazur

Einige Charaktere schälen sich in der Folge mit brillanter Interpretation heraus: Dem lautstarken, sehr emotionalen und dennoch nicht immer ganz überzeugenden Faust stellt sich ein aalglatter Mephisto (Christoph Heußel) von Rang entgegen. Mirca Szigat ist die saftig im Leben stehende Marthe - und die drei mehrfach eingesetzten Damen Theresa Achilles, Judith Jaskulla und Yasemin Peken hinterlassen vor allem als das Einmaleins beherrschende sexy Hexen einen nachhaltigen Eindruck.
 
Müssen wir hier den ganzen Faust und seine kräftigen Schnitte, die schnellen Bildwechsel, die kräftigen Schnitte und den Verzicht auf Schwulst aufdröseln?  Müssen wir nicht. Die Inszenierung siegt auf zwei Ebenen: denen, die den „Faust“ kennen, verschafft sie komprimiertes Vergnügen in kurzer Form, den anderen deftigen Spaß, auch mal zum Schenkelklopfen, ein bißchen weg von Goethes eigentlichem Plan. Also: Wer sich endlich einmal ohne Angst vor Goethe sein größtes Drama anschauen möchte: TiC.
 
Weitere Informationen:  www.tic-theater.de