Weil wir selber drinnen sind...

Vor 70 Jahren starb der Dramatiker Wolfgang Borchert.

von Frank Becker

Vanessa Radman, Stefan Otto - Foto © Claudia Scheer van Erp 

Vor 70 Jahren starb der Dramatiker Wolfgang Borchert.
 
Vor 20 Jahren spielte das junge Wuppertaler Theater „neue wuTh“ anläßlich seines 50. Todestages sein Drama „Draußen vor der Tür“. Wolfgang Borcherts Todestag jährt sich heute zum 70. Mal, weshalb wir die vor 20 Jahren veröffentlichte Rezension noch einmal aufnehmen.
 
Weil wir selber drinnen sind...
 
„Draußen vor der Tür“, Wolfgang Borcherts Drama um Schuld und Verantwortung, aufgeführt zu seinem 50. Todestag.
 
Deutschland liegt in Trümmern, als 1947 Borcherts Stück an den Hamburger Kammerspielen uraufgeführt wird. Millionen von Soldaten sind im Krieg geblieben, andere kehrten zurück: heimatlos, entwurzelt, an Leib und Seele verkrüppelt - „Heimkehrer“. Und schon sind Kriegsgewinnler am Werk, welche es immer geben wird, die am Leid nicht teilhaben, die auch auf der dünnsten Suppe als Fettaugen schwimmen.
Auf diese Angepaßten trifft Beckmann, 24jährig, der von der Ostfront ein steifes Bein und eine wunde Seele mitgebracht hat, Beckmann, der schwer am Grauen des Krieges trägt, der Last einer ihn überfrachtenden Verantwortung, Beckmann, der die zerstörte Welt durch eine Gasmaskenbrille sieht. Er findet sein Bett besetzt, seine Frau von einem anderen genommen, seine Eltern tot und die Welt seinem Schicksal gleichgültig gegenüberstehend. Der Tod will ihn nicht, die Elbe wirft den Müden wieder an Land. Er schleppt sich weiter, zerquält von Erinnerungen und Fragen, auf die er keine Antworten bekommt, beladen mit dieser ungeheuren Verantwortung für den Tod von elf Kameraden, die ihm niemand abnehmen will. Während andere schon wieder den Fuß in der Tür haben bleibt er draußen.
Das Stück hat eine beeindruckende Aufführungsgeschichte und jeder, der es auf den Spielplan setzt, muß sich dem nachwirkenden Ruhm stellen, den die ersten Beckmann-Darsteller (bis heute ungeschmälert) an ihre Fahnen heften konnten: Hans Quest, dem Borchert das Drama widmete, 1947 in Hamburg, Paul Edwin Roth 1948 in Berlin und in der Verfilmung 1948 Karl John.
 
Ohne Scheu, dafür mit Chuzpe und Verstand und dem Gefühl für den richtigen Zeitpunkt tat das nun die „neue wuTh“ 1997 als erste Bühne Deutschlands im 50. Jahr nach Borcherts Tod. Kühn strich Regisseur Andreas Windhues den Text zusammen - „Frevel!“ mochte man schreien, aber nein, es gelang vorzüglich, ohne entscheidende Verluste. In drei Monaten erarbeitete er mit seinem Ensemble eine atemberaubend dichte Fassung, der man höchste Qualität und Gültigkeit bescheinigen kann. Seine Schauspieler leisten Beachtliches in der beklemmenden Atmosphäre des Aufführungsortes „U-Club“, der wie maßgeschneidert Kulisse ist, ohne Kulissen zu benötigen.
Stefan Otto überragt, er gibt - nein verkörpert fast schmerzlich einen Beckmann, der unter die Haut geht, ergreift, mit-leiden läßt. Borchert, der einen Tag vor der Uraufführung 1947 starb, war von Quest tief berührt - ich behaupte, Otto hätte seine Zustimmung ebenfalls gefunden. Vanessa Radman legt das Mädchen frivol an, fast nuttig, eine interessante Sicht, nicht unglaubhaft, und legt in der zur Prunksitzung umgestalteten Kabarett-Szene ein tolles Tanzmariechen hin. Die Choreographie besorgte Dagmar Beilmann. Gegen ihre Mitspieler etwas farblos kamen Anja Kerspe, als Frau Kramer zu ruppig, und Rolf Horvath weg. Den Oberst bajuwarisch zu karikieren war keine so gute Idee, zumal man einen Dialekt beherrschen sollte, wenn man ihn einsetzt. Ein weiteres Bonbon aber (besser: ein Knallbonbon) bescherte Dirk Häger in seiner unerhörten Darstellung des Kabarett-Direktors, hier als schrille Parodie auf den eklig-zwangslustigen rheinischen Karneval gegeben, der Beckmann gnadenlos vor die Tür witzelt. Was Häger in diesem schweren Part leistet, stellt ihn gleichwertig neben Otto.
Die ergriffene Stille nach dem Schluß wich brandendem Applaus, der kaum enden wollte. Mit Recht. Ein großartiger Theaterabend.

Frank Becker
 
Premiere 1997 neue wuTh: „Draußen vor der Tür“