Maschen, Mode, Macher

Deutsche Strumpfdynastien im LVR-Industriemuseum Textilfabrik Cromford

Red.

Deutsche Strumpfdynastien –
Maschen, Mode, Macher
 
Das LVR-Industriemuseum in Ratingen nimmt mit
auf eine packende Zeitreise durch
200 Jahre deutsche Strumpfmode
 
Ratingen. Das weibliche Bein mit hauchzartem Strumpf gilt bis heute für viele als Inbegriff des sinnlich Begehrenswerten. Dabei rührt der erotische Reiz gerade aus dem Spannungsfeld zwischen Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit. Der Strumpf verführt, weil er andeutet, wo er aufhört.
Die Ausstellung „Deutsche Strumpfdynastien – Maschen, Mode, Macher“ zeigt anhand einer Vielzahl historischer Strümpfe und vieler weiterer Exponate in der Textilfabrik Cromford, wie sich die Strumpfmode in den letzten 200 Jahren verändert hat: vom handgestrickten Strumpf des 18. Jahrhunderts über die verführerischen „Nylons“ bis zur bequemen Socke. Sie erzählt die Geschichte des Strumpfes nicht nur aus mode- und kulturhistorischer Perspektive, sondern nimmt auch berühmte Hersteller in den Blick. Mitmachstationen laden Jung und Alt ein, so manches Geheimnis rund um den Strumpf aufzudecken: Wissen Sie, wie viele Kilometer eine Socke zurücklegt? Und wohin verschwinden eigentlich die Strümpfe in der Waschmaschine?
 
Die Unternehmer als Macher – Spielarten der Unternehmensführung
Die Ausstellung „Deutsche Strumpfdynastien – Maschen, Mode, Macher“ bringt einem breiten Publikum in der Textilfabrik Cromford, auf über 500 qm und verteilt über drei Etagen, die Faszination des so vielfältigen Produktes Strumpf nahe. Im Zentrum der vom Staatlichen Textil- und Industriemuseum Augsburg konzipierten Schau stehen die Macher: die Unternehmer, die mit technischer Innovationskraft, unternehmerischer Weitsicht und kreativem Marketing ihre Branche zum Erfolg führen. Waren früher Unternehmerdynastien wie die Esches, Bahners oder Kunerts tonangebend, so prägen heute die Falkes nicht nur in Deutschland das Bild der ganzen Branche. Jeder dieser prägenden Familien widmet die Ausstellung ein eigenes Kabinett. Den Anfang aber macht Johann Gottfried Brügelmann, der nicht nur 1784 die erste mechanische Baumwollspinnerei Cromford in Ratingen gründete, sondern hier auch auf Wirkstühlen oder in Heimarbeit Strümpfe produzieren ließ.

 
 © Kunert-Werke 1964

 
Die Arbeitnehmer als Macher – Einblicke in die soziale Welt der Betriebe
Der Erfolg der Strumpfindustrie geht nicht allein auf die jeweiligen Unternehmer zurück. Immer braucht es auch die Arbeiterschaft, die in spezialisierten Berufen die Leistungsfähigkeit eines Unternehmens bestimmen. Dabei war die Strumpfbranche vorwiegend ein Arbeitsplatz für Frauen, die oft bis zu 70 Prozent der Belegschaft eines Betriebs ausmachten. Viele Beschäftigungen galten als Anlernberufe, auch wenn sie hohes Geschick erforderten. Beim Ketteln beispielsweise mußten, um die Spitze des fertig gestrickten Strumpfes zu schließen, von Hand Masche für Masche einzeln miteinander verbunden werden – eine Herausforderung, die neben manuellen Fertigkeiten auch ein gutes Sehvermögen erforderte. In Westdeutschland stiegen die Beschäftigtenzahlen der Strumpfindustrie nach dem Krieg von etwa 10.000 auf etwa 37.000 Anfang der 1970er Jahre. Einen nicht unwesentlichen Teil der Arbeitskräfte stellten ehemalige Beschäftige, die vor dem Zweiten Weltkrieg in Böhmen gearbeitet hatten. Auf diese Weise stand etwa Kunert in Immenstadt oder Elbeo in Augsburg schnell qualifiziertes Personal zur Verfügung, das so dringend gebraucht wurde. Später stießen so genannte „Gastarbeiter“ aus Italien, dem ehemaligen Jugoslawien oder der Türkei dazu, die die Betriebe verstärkten. Die Gewerkschaften standen Seite an Seite mit der Arbeiterschaft vor allem seit den 1970er Jahren, als die Beschäftigungszahlen in Deutschland kontinuierlich rückläufig waren. Um die sozialen Bedingungen der Arbeiterschaft der Strumpfbranche eindringlich zu erzählen, inszeniert das tim (Textil- und Industriemuseum) eine Firmen-Kantine, mit Originalgeschirr bestückt, wie sie als sozialer Umschlagplatz in jedem Unternehmen fungierte.


Falke-Werbung 1973 - Foto von F.C. Gundlach © Falke KGaA

 
Die Maschen – laufende Maschinen 
Das Handstricken – also die Maschenbildung mit zwei Nadeln – ist eine Jahrtausende alte Technik. Deren Mechanisierung begann im Jahr 1589 mit der Erfindung des Kulierwirkstuhls und der Spitzennadel. Ein solcher Wirkstuhl kann in der Ausstellung besichtigt werden. Außerdem erfahren die Besucher an Maschinen, welche Arbeitsschritte nötig sind, um einen Strumpf herzustellen – angefangen beim Garn bis zum fertig gefärbten und geformten Strumpf? Was ist der Unterschied zwischen Wirken und Stricken? Und worin liegt der jeweilige Vorteil in rundstrickenden oder flachwirkenden Maschinen?


nur die 70er Jahre - © Schulte & Dieckhoff - Foto © Frank Becker

 
Die Mode
In der Abteilung Mode richtet sich der Blick auf die modischen Zeitumstände der jeweiligen Epochen der vergangenen 200 Jahre. Immer zeigt sich der Strumpf zwischen Schein und Sein. Was jeweils als erotisch empfunden wird, liegt dabei nicht allein im Auge des Betrachters, sondern unterliegt vielfach den kulturellen Prägungen der jeweiligen Zeit. Hatte der Reifrock des 19. Jahrhunderts das weibliche Bein komplett verdeckt, trug es der Minirock der 1960er Jahre in einem nie dagewesenen Maße zur Schau. Es ist die jeweilige Mode, die das Konsumverhalten bestimmt und folglich der Strumpfindustrie ihre mehr oder weniger kurzlebigen Konjunkturen diktiert. Denn der Strumpf als Massenartikel will verkauft sein. Die Strumpfwerbung spielt bewußt mit einer sinnlichen Ästhetik, mit dem erotischen Reiz, mit moralischen Tabubrüchen; sie entwirft Idealbilder von Frauen, die in der Realität solchen Idealisierungen nur selten entsprechen. Ob erotische, oder mondäne, ob sportliche oder witzige Werbekampagnen – es gibt viele Möglichkeiten, sich positiv im Gedächtnis der Kunden zu verankern. Zielte die Werbung in den 1950er Jahren ganz auf Eleganz, die Personen der High Society wie sie Marlene Dietrich oder die persische Kaiserin Soraya verkörperten, so zeigt die heutige Werbung viel nackte Haut, verführerisch in Strumpf verpackt. In einem originalen Strumpfladen aus den 1950er Jahren können Besucher im den Hauch der Wirtschaftswunderzeit verspüren.


       Strumpfautomat 1961 - Foto © tim

 
Zur Ausstellung erscheint ein Begleitheft zum Preis von 5,- €.
 
LVR-Industriemuseum - Textilfabrik Cromford
Cromforder Allee 24 - 40878 Ratingen
 
Laufzeit: noch bis zum 22. Dezember 2017
Öffnungszeiten: dienstags bis freitags 10–17 Uhr, samstags und sonntags 11–18 Uhr
Eintrittspreise: 5,50 €, erm. 4,00 €, Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre haben im LVR-Industriemuseum freien Eintritt.


   Mittagspause am Werkskanal - Mitarbeiter der Formerei der Firma Elbeo Augsburg 1963 - Foto © Lydia Hiller 

Besucherinformatrionen und Buchungen von Führungen
kulturinfo rheinland
Tel.: 02234/9921-555
(Mo-Fr 8-18 Uhr, Sa, So und an Feiertagen 10-15 Uhr)
 
Weitere Informationen: www.industriemuseum.lvr.de
 
Redaktion: Frank Becker