…und er hat sein helles Licht bei der Nacht…

„Machet gut, Schwatte!“ - herausgegeben von Friedhelm Wessel

von Frank Becker

…und er hat sein helles Licht
bei der Nacht…
 
Die Erinnerung ist das einzige Paradies,
aus dem wir nicht vertrieben werden können.
Jean Paul Friedrich Richter
 
Geht Ihnen das oft nicht auch so, daß ein ganz bestimmter Geruch einen Schalter im Kopf umlegt und Bilder der längst vergangenen Kindheit und Jugend wachruft? Oder umgekehrt, daß eine gelesene Situationsbeschreibung Geräusche und Gerüche aktiviert, die wir längst vergessen glaubten? So ist es mir ergangen, als ich Friedhelm Wessels duft- und bilderreiche  Anthologie „Machet gut, Schwatte!“ mit wachsender Leidenschaft durchgeschmökert habe. Der Herausgeber, selber ein Kind des Reviers läßt noch einmal, bevor die Zeit des Bergbaus und der Montanindustrie im Ruhrgebiet endgültig vorüber ist, mit Hilfe von zehn Autorinnen und acht Autoren eine Welt Revue passieren, in der die Kohle, unter Tage im Flöz und aus dem Berg gefördert als Eierkohlen, Nußkohlen, Fettkohlen, Koks, Anthrazit und Brikett im heimischen Herd oder Kachelofen das Leben bestimmten.
 
Mit Geschichten über Hausbrand, Hunde und Grubenwehr, Kohlekajal und gefringsten Kohlenklau, Zechen, die Ewald, Friedrich, Hugo, Prosper Haniel oder Consolidation hießen und über den legendären Fußballer Ernst Kuzorra, Dauerbrenner und Brikett in (feuchtem) Zeitungspapier, Deputat-Kohle als Tauschartikel und Grubenluft, über eine Halde namens Hilde und über Tauben, die alle Hänschen hießen, über schwarz „beschneite“ Weißwäsche, über qualmende Schornsteine und das Anzünden des Ofenfeuers holen die Autoren eindrücklich diese Zeit zurück. Friedhelm Wessel hat 40 eindrucksvolle Fotos seines Archivs rund um das, was das Leben von Generationen einer ganz besonderen Region geprägt hat, zur Illustration dieser warmherzigen Erinnerungen beigetragen.
 
Das Ratschen der Kohlentröte über den rauhen Estrich, das Simmern des heißen Wassers im Pfeifkessel, das Bullern des Feuers im Herd mit den herausnehmbaren Eisenringen – all das ist mit solchen Erinnerungsgeräuschen und –gerüchen verbunden. Nun muß man dafür nicht in Herne oder Bottrop, Essen, Schalke oder Hordel groß geworden sein. Das war in den 50ern und 60ern überall so. Da gab es in den Schulbüchern der ersten Volksschulklassen noch genaue Beschreibungen von Zechenanlagen und Steinkohle-Bergwerken. Ich erinnere mich noch wie heute, daß unsere verehrte Volksschullehrerin Frl. Schmidt uns anhand eines großen Schaubildes die Funktionen des Bergbaus als wichtigen Teil der Volkswirtschaft erklärte und wir ein Bergwerk zeichnen mußten. Diese seit Jahrzehnten in einer Schublade aufbewahrten Kinderzeichnungen aus dem 3. Schuljahr habe ich nun meinerseits zur Illustration wieder ans Licht gebracht – und plötzlich ist alles wieder da…


© Frank Becker

Dem Ruhrgebiet und seinem Bergbau, den Hauern und Steigern haben wir alle, auch die nachgeborenen Generationen sehr, sehr viel zu verdanken. Deshalb sollte man all die kurzen und gut verdaulichen Erzählungen und Erinnerungen dieses Buches mit einem dankbaren Blick lesen.
2018 ist nun tatsächlich Schicht im Schacht. Mit Bergbau im Ruhrgebiet, mit dem Schwarzen Gold, mit der Kohle, die das Wirtschaftswunder befeuert und Menschen in ganz Deutschland wieder stolz gemacht hat. Eine bedeutende Epoche von Fleiß und harter Arbeit endet. Endgültig. Aber die Abdrücke sieht man immer noch. Zum Abschied sagen die zehn Autorinnen und acht Autoren in diesem wunderbaren Buch nachvollziehbar wehmütig: „Machet gut, Schwatte!“ Von mir für dieses Buch meine Anerkennung: den Musenkuß.


© Frank Becker

„Machet gut, Schwatte!“ - Geschichten zum Abschied von unserer Kohle 
herausgegeben von Friedhelm Wessel – mit Beiträgen von Hans-Jürgen Bradler, Franz Naskrent, Elke Schleich, Einhard Schmidt-Kallert, Karin Schneider, Gerd E. Schug, Annika Schuppelius, Philip Stratmann, Peter Zontkowski, Ulrike Geffert, Hubertus A. Janssen, Anja Kiel, Margit Kruse, Dagmar van de Loo, Margret Martin, Inge Meyer-Dietrich, Sarah Meyer-Dietrich

© 2017 Henselowsky Boschmann, 80 Seiten, gebunden, 40 Fotos – ISBN: 978-3-942094-69-6
9,90 Euro

Weitere Informationen:  www.vonneruhr.de