Sprachmächtige Bilder

Johannes Bobrowski – „Mäusefest“

von Robert Sernatini

Sprachmächtige Bilder
 
„Man ist für das Leben nicht eingerichtet.“
Johannes Bobrowski
 
Eine der wohl besten, eindrücklichsten kurzen Erzählungen, die die deutsche Literatur bereithält, eröffnet auch titelgebend den aus zwei früheren Quartheften bei Wagenbach („Mäusefest“ und „Der Mahner“) zusammengestellten Band mit 22 Erzählungen von Johannes Bobrowski (1917-1965): „Mäusefest“, die berührende Geschichte eines Abends im Leben des jüdischen Ladenbesitzers Moise Trumpeter in einer von Deutschen Soldaten besetzten polnischen Stadt. „Da sitzt er noch immer, Moise, wie wir ihn schon aus den Schulbüchern kennen, auf seinem Stühlchen in seinem kleinen Laden und freut sich an seinen Mäusen, die im silbernen Mondlicht ein Fest feiern und um die ihnen zugedachte Brotrinde tanzen. Und als der junge Soldat hereinkommt, ein deutscher Milchbart, der mal sehen will, wie das Judenvolk haust, meldet sich noch immer ein Kloß in unserem Hals, denn wir wissen, was Moise vorerst nur ahnt. Auf nur viereinhalb Seiten hat Johannes Bobrowski das ganze Elend beschrieben, das der deutsche Einmarsch in Polen mit sich brachte, leise, aber umso beharrlicher sich im Gedächtnis verankernd.“ (Verlagstext)

Johannes Bobrowski hat die Fähigkeit, vom Schlimmen zu erzählen, ohne es zur schrillen Sensation zu machen. Er ist beherrscht die Klaviatur der leisen Töne, zugleich erweist er sich als ein Meister der Naturbeobachtung und der Momentaufnahme. Er vermag Abgründe zu zeigen, ohne Haß zu säen – und er hat die Fähigkeit, mit den Füßen fest auf dem Boden zu stehen, während sein Wort sich sanft über unsere Köpfe erhebt, nicht aber abhebt. Seine fesselnde, glasklar deskriptive Sprache ist handfest, gleichzeitig zugleich zarteste Prosa. Johannes Bobrowski ist ein Menschenfreund, einer, der mit leisem Humor dem Druck der harten Wirklichkeit nachgibt, der aber auch wie in „De homine publico tractatus“ mit saftigem Humor augenzwinkernd den Ernst des Lebens aushebelt. Seine Figuren sind aus der Erde geformt, deren Scholle ihre Heimat ist, Polen, Litauen, Ostpreußen. Wichtig ist dem Mahner (s. o.) das Unrecht des mit der Besetzung und Unterdrückung Polens 1939 durch die deutsche Wehrmacht und das fürchterliche Regiment des Generalgouvernements dort.
Dann aber zeichnet er italienische Bilder aus Venedig oder Rom uns skizziert das Leben in der Hauptstadt Berlin, wo Johannes Bobrowski bis zu seinem Tod 1965 gelebt hat.
Ein Buch, dessen Erzählungen, Sprache und einzigartige Prosa allen voran das „Mäusefest“ unbedingt zum Kanon der Schulliteratur zählen sollte.
 
Johannes Bobrowski – „Mäusefest“
© 2017 Wagenbach Salto, 139 Seiten, Ganzleinen, Fadenheftung - ISBN: 9783803113252
17,- €
Weitere Informationen:  www.wagenbach.de