Der Film eines Künstlers (aber nichts für Ophiophobiker)

„On the Milky Road“ von Emir Kusturica

von Renate Wagner

On the Milky Road
(Na mlijecnom putu - Serbien 2016)

Drehbuch, Regie, Hauptrolle: Emir Kusturica
Mit:
Monica Bellucci, Sloboda Micalovic, Predrag Manojlovic u.a.
 
Der Name „Emir Kusturica“ leuchtet noch immer im Gedächtnis von Cineasten, der Mann hat schließlich verdient zwei „Goldene Palmen“ heimgetragen, aber das ist einige Zeit her. Seiner politischen Ansichten wegen in publizistische Ungnade gefallen (wie ja auch Peter Handke – Bekenntnisse zu Serbien im Balkan-Krieg waren verpönt), hat er lange nichts von sich hören lassen. Und nun ist er wieder da mit einem Film, der alle Widersprüche ausgelöst hat, von höchster künstlerischer Anerkennung bis zu scharfer Ablehnung. Alles ist drin, wenn man sich an ein belastetes Thema wagt.
 
Denn wir sind in einem bosnischen Dorf mitten im Balkan-Krieg, und da eine verrückt-romantische Liebesgeschichte zu erzählen, erschien vielen als Verniedlichung der Katastrophe. Und vielleicht ist manches tatsächlich – nun, sagen wir possierlich. Der „Milky Way“ des Titels ist nicht das, was wir gemeiniglich unter „Milchstraße“ verstehen, sondern diesmal real eine solche. Emir Kusturica selbst spielt den Milchmann, der nicht Tewje, sondern Kosta heißt, und der 63jährige, der entschieden jünger wirkt, ist sich selbst ein hervorragender Hauptdarsteller, mit der seelenvollen Ausstrahlung eines Durchschnittsmannes, schauspielerisch ganz Feinarbeit in Mimik und Gestik.
Und er stellt eine unvergeßliche Figur dar, wenn er als Milchmann losreitet – auf einem Esel, seinen Falken am Rücken, einen aufgespannten Regenschirm über sich, die Milchkannen an der Seite des Tieres. Der Regenschirm soll ihn nicht gegen das Wetter, sondern die Kugeln schützen, denn er liefert im Krieg zwischen den Fronten die Milch, und er tut es in aller Gelassenheit. So wie die anderen sich nicht weiter aufregen, wenn rund um sie geschossen wird (selbst haben sie für den Fall es Falles auch eine Waffe bei der Hand).
 
Es scheint, ungeachtet der Handlung, die dann turbulent rund um die Liebe geht, tatsächlich das Hauptanliegen Kusturicas gewesen zu sein, das Leben im Krieg zu zeigen. Nicht als Balkan-Idylle, wie man ihm vorgeworfen hat, sondern als Bewältigung des Alltags. Rundum wird geschossen, es gibt wirklich schaurige Kriegsszenen (von Verniedlichung des Themas kann keine Rede sein), aber wenn man lebt, lebt man eben so normal wie möglich weiter – mit den Tieren, mit Essen und Trinken, es wird auch gesungen und getanzt. Keine Folklore – Alltag.
Freilich, die Geschichte ist ein bißchen wild. Da gibt es Milena (und Darstellerin Sloboda Micalovic ist eine Balkan-Schönheit erster Ordnung), aber Kosta verliebt sich ausgerechnet in Nevesta, die halbe Italienerin, die als Braut für einen Soldaten ausersehen ist (dieser narbenreiche alte Zaga ist in Gestalt von Predrag Manojlovic wohl nicht gerade das, was eine Frau sich wünscht).
Diese Nevesta erscheint in Gestalt von Monica Bellucci, die gewissermaßen alterslos eine klassische italienische Schönheit ist, ihrer Rivalin übrigens sehr ähnlich (in einer Szene werden beide Frauen mit dem gleichen langen Schwarzhaar in Hochzeitskleidern gezeigt – wie Schwestern), aber keine Frage, Kosta und Nevesta wählen einander. Irgendwann müssen sie dann gemeinsam fliehen, und Kusturica weidet das aus, auch im Schrecken des Krieges, der sie hier einholt.
 
Nevesta, die sich als nicht nur schön, sondern auch nützlich erweist (sie kann im Notfall ein Ohr annähen oder den Geliebten bei der Flucht ein Stück tragen), hat am Ende eine furchtbare Szene mit der Schlange – nicht eine, sondern „die“ Schlange, die neben den anderen, zahlreichen Tieren des Films eine Hauptrolle spielt, immer wiederkehrt und (ob echt, ob computerized) immer so „echt“ wirkt, daß Leute mit Ophiophobie (Angst vor Schlangen) sich in diesem Film höchst unbehaglich fühlen werden.
Es ist ja auch kein Balkan-Folklore-Wohlfühl-Film, wie einige Kritiker Kusturica (vielleicht der vielen Tiere wegen?) vorgeworfen haben. Es ist ein Film über Leben im Krieg. Und er hat auch kein triefendes Happyend – nein, am Ende erleben wir Kosta als Einsiedler. Ein ziemlich krasser Schnitt, wenn man eben noch auf der Flucht war. Hat nicht so geklappt mit dem Glück – in einer Rückblende sieht man immerhin noch, wie er Nevesta geheiratet hat. Oder war es Traum? Am Ende weiß man jedenfalls, daß man trotz aller skurriler Szenen einen traurigen Film gesehen hat.
Was immer man von „On the Milky Road“ hält oder dagegen einzuwenden hat – es ist auf jeden Fall der Film eines Künstlers.
 
 
Renate Wagner