Mehr als nur ein Historienspektakel

„Victoria & Abdul“ von Stephen Frears

von Renate Wagner

Victoria & Abdul
(GB 2017)

Regie: Stephen Frears
Mit: Judi Dench, Ali Fazal, Olivia Williams, Michael Gambon, Eddie Izzard, Simon Callow u.a.
 
Es ist schon großartig für ein britisches Schauspielerinnen-Leben, wenn Judi Dench (Jahrgang 1934) sich nicht nur sagen kann, selbstverständlich auch die Queen Elizabeth I. auf der Leinwand verkörpert zu haben – aber die alte Queen Victoria gleich zweimal in besonders wichtigen Stationen ihres gewissermaßen „privaten“ Lebens, das ja auch stets politische Folgen hatte. In „Mrs. Brown“ (1997) wurde die Geschichte ihrer tiefen Verbundenheit mit ihrem schottischen Diener John Brown behandelt, die ihre Umwelt letztendlich so hintertrieb wie die Beziehung zu dem Inder Abdul Karim, die nun ins Kino kommt.
Es war im Jahre 1887. Victoria war 68 Jahre alt, und der Film zeigt sie zu Beginn als fremdbestimmte Greisin, die von ihrer Hofkamarilla, dem Protokoll und dem Zeremoniell regelrecht durchs Leben geschleppt wird. Seit zehn Jahren trug sie auch den Titel einer „Kaiserin von Indien“, ohne je einen Fuß in dieses Land (das eigentlich ein Kontinent für sich ist) gesetzt zu haben. Damals schickte man ihr zu ihrem Regierungsjubiläum aus Indien eine „Mohur“ (eine große, kostbare Münze) als Geschenk und benötigte dafür gleich zwei Boten. Der britische Beamte in Agra wählt seinen Angestellten Abdul Karim, der im Gefängnis arbeitet, weil er groß ist – lesen und schreiben kann er auch, wie viel er über seine Heimat weiß, ist dem Beamten egal.
Abduls Begleiter sollte gleichfalls ein großer junger Mann sein, der erkrankte – so nimmt man Mohammed (Adeel Akhtar), klein, schlecht gelaunt, dem später dann in dem Film die dramaturgische Aufgabe zufällt, die ganze Abneigung der Inder gegen die sie beherrschenden Briten geradezu wütend auszuspucken. Das kommt, als sich herausstellt, daß Abdul und Mohammed keinesfalls, wie vorgesehen, nach dem Präsentieren der Münze wieder heimfahren dürfen. Sie bleiben in London. Und das, weil…
… weil Abdul, der hübsche, junge (damals etwa 25jährige) Inder (ideal besetzt mit Ali Fazal mit wunderbar-treuherziger Ausstrahlung) die strenge Anweisung der Hofschranzen mißachtet hat, der Königin (seiner „Kaiserin von Indien“) keinesfalls ins Gesicht zu sehen. Er sieht sie neugierig an, sie schaut zurück, es ist vermutlich zum ersten Mal seit Jahren und Jahrzehnten, daß sie dem direkten und freundlichen Blick eines anderen Menschen begegnet. Alles andere ist Geschichte, ist Tatsache, wenn auch (wie immer) die Originale (es gibt ja Fotos) bei weitem nicht so attraktiv waren die ihre Vertreter auf der Leinwand.
 
Angesichts dieses jungen Inders besann sich Victoria, die bis dahin – zumindest zeigt es so der so sorgfältig historisch ausgepinselte Film von Stephen Frears – eigentlich nur vor sich hingedümpelt hatte, daß sie eine Frau mit Wünschen und Bedürfnissen war – und der Macht, dies auch gegen alle Widerstände durchzusetzen. Dieser junge Inder konnte ihr von seinem Land erzählen, Worte seiner Sprachen beibringen, ja, sogar Urdu und Hindustani aufschreiben, und offenbar war die geistig unterforderte Queen eine gelehrige Schülerin mit großer Begeisterung für das Indien, das sie nun aus zweiter Hand kennen lernte. Sie erklärte Abdul zu ihrem „Munshi“, was so viel wie Lehrer bedeutet, und räumte ihm permanent einen Platz direkt an ihrer Seite ein.
Und Judi Dench spielt, worum es für Victoria wohl ging: die Sehnsucht nach einem echten Menschen inmitten der bösartigen Marionetten, die sie umgaben. Und Abdul wäre kein Mensch gewesen, seine Stellung nicht zu genießen, so aufrichtig seine Zuneigung zu der alten Dame wohl war.
Daß diese Idylle zwischen der Königin und dem Inder (für die Briten ein Farbiger und Untermensch) natürlich für den Hofstaat einen Skandal ohnegleichen darstellte, versteht sich. Sie pinseln Mißgunst und Bosheit in Rassismus und Klassenhochmut wunderbar hin: Olivia Williams als süffisante Baroness Churchill, Tim Pigott-Smith als oft ratloser, zwischen den Fronten zerriebener Haushofmeister Sir Henry Ponsonby, Michael Gambon als Premierminister Lord Salisbury, Paul Higgins als ihr Arzt Dr. Reid, vor allem aber Eddie Izzard als der älteste und sichtlich ungeliebte Sohn Bertie, Prince of Wales, der damals so lange auf das Absterben der Mama zu warten hatte wie heute Prince Charles. Zumindest gängeln wollte man die Königin, und auf einmal wehrte sie sich entschieden auch dagegen.
 
Man hat – vor allem in England – dem Film von Stephen Frears vorgeworfen, zu gefällig zu sein, und tatsächlich nützt der Regisseur (neben dem opulenten Beschwören der Pracht der Epoche am Königshof) auch immer wieder Gelegenheiten zum Lächeln bis Lachen. Wenn die Königin ihren „Munshi“ überall hinschleppt und er, in Schottenkleidung, schnatternd und frierend im regnerischen Schottland leidet, oder wenn sie auf einer Italienreise einen Abend mit Puccini selbst verbringt (Simon Callow ironisiert ihn prächtig) und dergleichen nicht nur eine einzige Peinlichkeit ist, weil die Köngin selbst zu singen beginnt…
Und doch, die Schmerzlichkeit von Abduls Stellung wird ebenso klar wie die Einsamkeit einer alten Frau, die letztendlich permanent von lauernden Feinden umgeben war. Mohammed starb einsam und unglücklich im englischen Klima, nicht, ohne den Briten noch seine wahre Meinung gesagt zu haben. Abdul wurde sofort nach Victorias Tod zurück nach Indien verfrachtet. Ein Buch, das die indische Journalistin und Historikerin Shrabani Basu über diese seltsame Beziehung recherchierte, wurde zur Grundlage für diesen Film, der mehr ist als nur ein Historienspektakel.
 
 
 
Renate Wagner