Orgel & Derwisch & Klezmer

Der 1. Orgelakzent der neuen Wuppertaler Saison

von Johannes Vesper

Ensemble Noisten, Derwisch Talip Elmasulu - Foto © Johannes Vesper

Orgel & Derwisch & Klezmer

 1. Wuppertaler Orgelakzent
 
Das Ensemble um den Wuppertaler Klarinettisten Reinald Noisten beschäftigt sich seit Anfang 2000 mit Klezmer, der ehemaligen Hochzeits- und Festmusik osteuropäischer Juden, bald darauf auch mit arabischer Musik. 2006 ging man das Projekt an: Klezmer trifft Derwisch. Ob die Probleme Palästinas und des Nahen Ostens musikalisch gelöst werden können? Wer weiß. Eine CD dazu - „Tanz Jerusalem“, ensemble noisten, mit Texten von Meister Eckhart, Ahmad al-Ghazali (*1061), Daniel Lifschitz (*1937) und anderen, gelesen von Nina Hoger und Felix von Manteuffel -  liegt vor. Jedenfalls wurde dieser Dialog unter Einbeziehung der „christlichen“ Orgel inzwischen zu einem Trialog der drei von Abraham abstammenden Weltreligionen erweitert, die an diesem Abend mit ihrer spirituellen Musik zum gemeinsamen musikalischen Gespräch zusammentreffen. Das Konzert im großen Saal der Historischen Stadthalle Wuppertal wurde mit der Premiére Fantaisie des 1940 mit 29 Jahren im Krieg gefallenen Jehan Alain eröffnet. Orgeltrompeten und volles, blau angestrahltes Orgelwerk ließen Großes erwarten und boten es dann auch gewaltig. Anschließend fuhr dem Publikum die Klezmermusik, die sich von Hause aus gerne mit allem mischt, in die Zehenspitzen. Ob das Shiva, dem Obergott des Hinduismus, gewidmete Stück „Shiva Skothne“ den blutigen hinduistisch-muslimischen Konflikt Indiens mildern kann, bleibt fraglich. Aus der Gegenüberstellung der Bachschen Choralbearbeitung „Kyrie, Gott Vater in Ewigkeit (BWV 669) und „Tantz Jerusalem“ scheint sich zunächst kein echter musikalischer Dialog zu entwickeln. Aber das Nacheinander der Musikstücke aus den verschiedenen Kulturen führt doch zu neuen musikalischen Erfahrungen. Dem „Tantz Jerusalem“ liegt die Idee zugrunde, daß ohne Terror und Krieg Priester aller Regionen in Jerusalem zusammen tanzen und nicht damit aufhören. Dabei wird zur Klezmerbesetzung (Gitarre, Klarinette Schlagzeug, Kontrabaß) die anrührende Nay-Flöte (in der arabischen Welt gespielte Langflöte je nach Region mit oder ohne Mundstück) kombiniert - und auch die Orgel. Das arabisch-indische Schlagzeug (Tabla: zwei kleine Kesseltrommeln, Genjira, Mirudamgam, Darbuka, Djembe, Gaddam) führt hier ein inniges Zwiegespräch mit dem Kontrabaß, der zeitweise ebenfalls als Schlagzeug genutzt wird.


Ensemble Noisten, Derwisch Talip Elmasulu - Foto © Johannes Vesper

 
Endlich kommt zu Musik von Osmanli Murat III (Sultan des Osmanischen Reiches, 1546-1595) der Derwisch Talip Elmasulu in schwarzem Mantel und charakteristischem hohem Hut auf die Bühne, legt den Mantel ab und beginnt, sich in seinem roten Kostüm zu drehen. Die rhythmisch komplizierte, melodisch einfachere Musik, zu der auch immer wieder gesungen wird, versetzt den sich ständig mit fliegendem rotem Rock drehenden Derwisch in Trance und erleichtert ihm die unmittelbare Gotteserfahrung, die Sufisten wie christliche Mystiker suchten. Schwindel scheint der Derwisch jedenfalls nicht zu kennen. Und nach der Pause tanzt er zu „Askinile aiklar“ („Auf dem Weg zu Gott“) und hört auch nicht auf, als Robert Mäuser auf der Orgel J.S. Bachs Choralbearbeitung „ Christe, aller Welt Trost“ intoniert. Sufis beten mit dem Herzen wie J.S. Bach auch. Endlich erklingt Bachs große, hochkomplexe Fantasie g-Moll (BWV 542) mit mächtig einherschreitendem Pedalbaß, die gesamte Harmonik und Himmelskathedrale ausfüllend. Zuletzt werden die alten Lieder „Herr der Welt“ (jüdisch) und „Ozean der Liebe“ (sufisch) erst nacheinander, dann bei nur geringen Änderungen zusammen gespielt und unter Führung der Orgel musikalisch zusammengefaßt. Insgesamt ein hochpolitischer Abend, der die aktuell wie historisch blutigen Konflikte der Religionen vergessen lässt.
Durch solche Konzerte wird die Welt hoffentlich friedlicher, jedenfalls nicht konfliktreicher. Warum auch nicht gemeinsam musizieren, wenn schon gemeinsam beerdigt wird? Auf dem Friedhof Varresbeck in Wuppertal beerdigen Juden und bald auch Muslime neben Christen ihre Toten.
Die Klezmermusik wurde vom ensemble noisten für ihre Zwecke nach den Dokumentationen des ukrainischen Musikwissenschaftlers Mosche Beregovsky(1892-1961) bearbeitet bzw. arrangiert, der osteuropäischen Klezmer gesammelt hat, bevor er in sowjetischen Arbeitslagern verschwand.
Reinald Noisten (Klarinetten), Claus Schmidt (Gitarre, Bouzouki), Andreas Kneip (Kontrabaß) und Shanmuglingam Devakuruparan (Schlagzeug s.o.) spielten sich wie Murat Cakmaz (Ney Flöte, Gesang) und Robert Mäuser (Orgel) mit hoher Musikalität und Virtuosität in die Herzen des zahlreich erschienenen Publikums. Für stehende Ovationen bedankten sich die Musiker mit einer Zugabe. Ein denkwürdiger 1. Orgelakzent.
 
Weitere Informationen: www.ensemble-noisten.de