Ein Freund fürs ganze Leben

Andreas Gaubatz / Jan Erhartitsch – „Renault 4“

von Frank Becker

Ein Freund fürs ganze Leben
 
(…wenn er so lange hält)
 
Renault 4: Dieser Wagen war eine Glaubens-. Herzens- und Überzeugungssache. Frei von Luxus, frei von Schnickschnack, robust und gemächlich. Schneller als 120 km/h war der in 31 Jahren mit über acht Millionen Exemplaren gebaute Kleinwagen mit 26 PS (später wurden es mächtige 34 PS) nie - aber wer hätte das schon ausreizen wollen? Bei 100 km/h reiste man bequem und mit erträglicher Lärmentwicklung. Praktisch die griffige Regenschirm-Schaltung, genial das Frischluftsystem einer von innen mit der Hand zu öffnenden Klappe, durch vier Türen komfortabel für Mitfahrer. Praktisch auch die Schiebefenster – da konnte keine Kurbel und kein Seilzug kaputt gehen. Kam der R 4 in die Jahre, hatte man Frischluftzufuhr auch durch die Türen und gerne auch mal von unten durch das Bodenblech, das oblatendünn besonders in regnerischen Gegenden wie dem Bergischen Land schnell durchgerostet war. Das betraf auch die Längsholme. Für das trockene Klima Nordafrikas war er da schon eher geeignet. Aber wer einen gewieften Schrauber hatte, bekam für ein paar hundert Mark halt einen neuen Boden und Seitenträger geschweißt.

 
Camping in Südfrankreich 1971 - Foto © Frank Becker
 
Als ich im Februar 1970 den ersten olivfarbenen R 4 kaufte, kostete er 5.022,75 DM und brachte bei 26 PS 110 km/h Spitze. Genau acht Jahre hat er (mit zwei neuen Böden und einem neuen Seitenträger) gehalten, mich bis Schottland, durch Frankreich und die Schweizer Berge und nach Österreich gefahren und sogar noch 700,- DM bim Verkauf gebracht. Das Röhrenradio (MW/LW) mit dem ich am 16. August 1977 um 23.00 Uhr erschüttert die Todesnachricht von Elvis Presley hörte, blieb drin. Der Nachfolger wurde ein roter R 4 GTL, der mich unter dem Strich schon 7.287,57 DM kostete. Skandinavien bis Nord-Norwegen, Südtirol und jeden Winkel Deitschlands hat er gesehen. Die Sitze waren etwas besser, er hatte die besagten 34 PS und er war 120 km/h schnell. Und er war so treu wie sein Vorgänger.


    Er sprang sogar im Bergischen Winter an (meist) -  Foto © Frank Becker

Der R 4 war ein Auto, das kaum etwas übel nahm, auch mit beladenem Dachgepäckträger eine wunderbare Straßenlage hatte und mit seinem großzügigen Laderaum und der großen 5. Tür selbst enorme Lasten klaglos hinnahm. War er hinten schwer beladen, verhinderte man das Blenden des Gegenverkehrs einfach durch eine Hebelchen an beiden Scheinwerfern, die man von Hand umstellte. Allerdings wurden Steigungen dann schon etwas problematisch. Aber wer einen R 4 fuhr, hatte es eh nicht eilig. Beim Öffnen der Motorhaube war sofort klar: da konnte man vieles selber machen. Versuchen Sie heute mal bei irgendeinem Pkw den Keilriemen oder die Zündkerzen selber zu wechseln oder eine defekte Scheinwerfer-Birne zu ersetzen… In dem Buch aus der Schrader Typen-Chronik über den R 4 und seine Geschichte, das ich Ihnen heute hier vorstelle, finden sich einige eindrucksvolle Fotos dazu.


Tour durch Norwegen 1979 - Foto © Frank Becker
 
Andreas Gaubatz und Jan Erharditsch haben dem legendären R4 mit ihrem üppig bebilderten Buch ein schönes Denkmal gesetzt. „Einfach und zuverlässig, für alles zu gebrauchen und für nichts zu schade, wurde der Renault zum Symbol für die französische Lebensart »Savoir-vivre« – auch in der Verarbeitung, die von einer gewissen Nonchalance geprägt war“, schreiben sie über diesen treuen Muli. Für Camping-Reisen, den Einkauf bei Ikea und das Reisen mit Kinderwagen war er ideal.Handwerksbetriebe, die fanzösische Post und Speditionen nutzten den R 4 als idealen Kleintransporter. Das Buch stellt eine Vielzahl davon im Bild vor.
Es gab ja damals einen gewissen Glaubenskrieg zwischen den Citroen 2 CV- und den Renault R 4-Fahrern. Beide waren neben dem (gebrauchten) VW Käfer die Alternative für junge Leute mit schmalem Portmonnaie. Sieger mußte durch seine praktische Ladefläche, seine Wendigkeit und die herunterklappbaren Vordersitz-Lehnen, die auch mal das Übernachten unterwegs ermöglichten, der R 4 bleiben. Kult wurden beide.


Südfrankreich 1971 - Foto © Frank Becker
 
Wer den R 4 einmal hatte, wird trotz aller Unzulänglichkeiten ein Leben lang von ihm schwärmen, denn er war mehr als nur ein Auto - er war ein Lebensgefühl. Übrigens: In Slowenien, wo Renault während der Tito-Zeit ein Montagewerk für den R 4 unterhielt, sieht man noch heute viele dieser charmanten Blechkisten auf den Straßen (und ist als Tourist versucht, einen um ein Geringes zu erwerben und mit nach Hause zu nehmen). Das herrliche Buch von Andreas Gaubatz und Jan Erharditsch stellt mit vielen Fotos alle Modelle der R 4-Geschichte vor, listet auf einer Tabelle die technischen Details der Modelle von 1961-1992 und zeigt auf drei Sonderseiten die Modellversionen, die Robert Göschl in liebevoller Kleinarbeit von allen nur denkbaren R 4-Varianten gebastelt hat. Weil der Renault R 4 so ein toller Wagen war und die Autoren ihn so eloquent präsentieren, bekommt das Buch unsere Auszeichnung, den Musenkuß.
 
Andreas Gaubatz / Jan Erhartitsch – „Renault 4“
© 2014 Motorbuch Verlag,  96 Seiten, gebunden, 24 x 22 cm, 33 s/w Bilder und 109 Farbbilder  -  ISBN: 978-3-613-03685-7
12,95 €
 
Weitere Informationen:  http://www.paul-pietsch-verlage.de