Viel zu viel Verschmocktes - Aber Derek Jacobi und Elliott Gould machen es wett.

„Die Geschichte der Liebe“ von Radu Mihaileanu

von Renate Wagner

Die Geschichte der Liebe
(The History of Love - Frankreich, Kanada, Rumänien, USA 2016)

Drehbuch und Regie: Radu Mihaileanu
Mit: Derek Jacobi, Gemma Arterton, Elliott Gould, Mark Rendall, Sophie Nélisse, Torri Higginson, William Ainscough u.a.
 
Es passiert nicht allzu oft, daß es sich für einen Kinobesucher als wahre Schwerarbeit herausstellt, einen Film zu betrachten. Aber nach „Die Geschichte der Liebe“, Laufzeit zweieinviertel Stunden (mit dem Eindruck: Hört das denn nie auf?) fühlt man sich, als hätte man sich durch ein Epos gekämpft. Ja, gekämpft. Wobei es sicher nicht gut ist, wenn der Regisseur a priori das Publikum warnt, man werde sich vor der letzten Szene wohl nicht wirklich im Geschehen auskennen. Um die Wahrheit zu sagen: Man tut es auch nachher nicht. Viel zu viel Unaufgelöstes, viel zu viel Verwirrendes, viel zu viel Verschmocktes.
Merke, Filmregisseur: Es ist kein Fehler, eine Geschichte einfach zu erzählen. Es wäre vielleicht das größere Kunststück gewesen, als dieses Puzzle hinzuwerfen, das von vorn und hinten nicht paßt und sich nicht auflöst.
 
Radu Mihaileanu, französischer Regisseur mit rumänischen Wurzeln, bisher strikt mit Kunstfilmen bei Festivals vertreten, hat den Roman „The History of Love“ der Amerikanerin Nicole Krauss (2005) zu einem Drehbuch umgeschrieben, das die vielen Zeitebenen des Buches – wie erwähnt – bis zur totalen Undurchdringlichkeit durchwirbelt.
Zu Beginn wird es lyrisch – knapp am Kitsch vorbei, wenn ein jiddisches Lied erklingt und ein Schtedtl irgendwo in Rußland mit aller landschaftlichen Schönheit und Idylle beschworen wird. Aus dem Off erzählt eine Stimme im Märchenton von glücklichen Zeiten und jungen Menschen, die verliebt waren – die hinreißende junge Alma, umschwärmt von drei jungen Männern, mit denen sie flirtet, von denen sie aber Leo auserwählt… in alle Ewigkeit, wie sie sich schwören und was für Leo eisern gilt.
Schnitt: New York heute, und da ist ein herrlicher grumpeliger alter Jude, der mit seinem alten Freund offenbar die immer gleichen Gespräche über die Vergangenheit führt, über die Liebe zu Alma, die er nicht vergessen kann. Schon allein das Gespräch, das Leo Gursky (Derek Jacobi) und Bruno Leibowitz (Elliott Gould) miteinander führen, ist ein Juwel, und man ist durchaus bereit, sich in diesem Film mit seinem Gejüdel und Geschmauschel und Geseire so herzlich wohl zu fühlen.
Aber dann springt der Film auf eine weitere Gegenwartsebene – und auf die junge Alma Singer (samt ihrem jungen russischen Freund und ihrer Freundin) und ihre Mutter, die da hochkompliziert in die Geschichte eines Manuskipts eingewoben sind, könnte man verzichten. Denn daß das Buch der Liebe für Alma, das Leo einst schrieb, von seinem Sohn (von ebendieser Alma), der nicht wußte, daß Leo sein Vater ist, herausgegeben ist – das alles wird zu einer solchen undurchdringlichen Schwulstgeschichte, durch deren tausende Drehungen und Wendungen man nicht durchsieht, daß es fast die Leo Gursky-Geschichte zerstört.
Es liegt auch daran, daß die 16jährige Kanadierin Sophie Nélisse (die einst in dem Film „Die Bücherdiebin“ so überzeugt hat) hier als Jung-Alma gar nichts ausstrahlt, im Gegensatz zur „echten“ Alma, die Gemma Arterton vom strahlenden jungen Mädchen bis zur sterbenden alten Frau hoch charismatisch verkörpert.
So bleibt in diesem Handlungsstrang nur der kleine, etwa 12jährige Bruder von Alma (William Ainscough als Bird Singer), ein hoch komplizierter jüdischer Junge, der das Leid der ganzen Welt auf seinen Schultern zu tragen scheint und durch seine Fürwitzigkeit entzückt. „You are so complicated“, sagt die Mutter von Alma und Bird (Torri Higginson als Charlotte Singer) zu ihren Sprößlingen, aber das gilt eher für den Film.
 
Zu den vielen Absurditäten der Geschichte – die als „Literatur“ durchgehen mag, als Kino nicht – zählt auch die Unterstellung, daß jener Bruno Leibovitch, den der alte Leo für seine Doppelconferencen so dringend braucht, vielleicht gar nicht existiert, sondern nur eine Einbildung von Leo ist? Hat man nicht dessen Begräbnis, damals im Schtedtl, gesehen, ermordet von den Nazis…? Am Ende will man es gar nicht mehr wissen und hat auch aus den Gegenüberstellungen (und konfusen Überschneidungen) der verschiedenen Welten weder Gewinn noch Genuß gezogen…
 
Andererseits: Wer, der etwas für große Schauspieler übrig hat, würde schon auf eine Doppelconference Derek Jacobi (unvergessen sein Caligula) / Elliott Gould verzichten? Aber man zahlt teuer dafür.
 
Trailer  
 
Renate Wagner