Das Boot

Friedrich Dürrenmatts tragische Komödie "Der Besuch der alten Dame" in einer Bearbeitung des Schauspielensembles Düsseldorf

von Frank Becker

Der Besuch der alten Dame

Eine tragische Komödie nach Friedrich Dürrenmatt

Inszenierung: Volker Lösch - Bühne: Carola Reuther - Kostüme: Cary Gayler - Dramaturgie: Christoph Lepschy - Licht: Franz Peter David - Musik: Procol Harum
Claire Zachanassian: Susanne Tremper - Alfred Ill (Juwelier): Rainer Galke - Mathilde Ill (seine Gattin): Katharina Abt - Siegfried (Bürgermeister): Matthias Leja - Maria (Lehrerin): Claudia Hübbecker - Horst (Polizeichef): Christoph Müller - Günter (Akademieprofessor): Hans-Jochen Wagner - Yvonne (Schauspielerin): Cathleen Baumann - Lutz (Journalist): Urs Peter Halter - Franco (Schuldeneintreiber): Jean-Luc Bubert - Statisterie

Die längste Theke der Welt

Damit von Anfang an klar ist, wen das Düsseldorfer Schauspielensemble mit seiner Bearbeitung von Dürrenmatts beißender Tragikomödie meint und wo der moralisch auf den Hund gekommene und wirtschaftlich am Boden liegende Ort Güllen auf der Landkarte zu suchen ist, gehört die erste halbe Stunde der Positionierung des Geschehens und der Figuren - na wo wohl, na klar: an der längsten Theke der Welt, der sich das rheinische Provinzstädtchen Düsseldorf rühmt. Und weil wir mitten in der Session sind, darf der gemeinsam mit dem Publikum angestimmte Karnevals- Gassenhauer "Ja sind wir im Wald hier - wo bleibt denn mein Alt hier?" nicht fehlen. Die Theaterbesucher folgen amüsiert dem zwischen Bürgermeister Er... äh, Siegfried (Matthias Leja gibt den eloquenten Demagogen mitreißend) von der

Susanne Tremper - Matthias Leja - Ensemble
leeren Bühne aus mit seinen nicht unkritisch erscheinenden im Zuschauerraum verteilten Bürgern geführten Disput über Stadtpleite, Putzfrauen-, Schmiergeld- und Bonus-Meilen- Affären. Man findet sich offenbar in allseits bekannten Verhältnissen wieder. Umso mehr schmerzt das allgemeine Amüsement - die Provokation geht ins Leere, wenn nur kabarettistische Heiterkeitserfolge erzielt werden.
Die vom Ensemble erarbeitete Fassung läßt zwar die Freude daran spüren, mal richtig auf den Putz zu hauen, aber eine zu genaue Spiegelung aufs Aktuelle nimmt dem Dürrenmattschen Stoff die Bitternis der Allgemeingültigkeit. 132 Millionen Euro schuldet Güllen der Landesbank. Die droht den Hahn abzudrehen und anstelle Güllens die ungeliebte Nachbarstadt Kaffingen zur Landeshauptstadt zu machen. Also muß Geld her.

Claire - Cher

Da kommt den Güllener Endfünfzigern, die sich Ort und Einfluß teilen, ihre einstige Schulkameradin Klara (Susanne

Susanne Tremper - Rainer Galke
Tremper) recht, die sich durch etliche Ehen mit wohlhabenden Geschäftsleuten zur Milliardärin hochgeerbt hat und nun Claire Zachanassian heißt. Volker Lösch hat die "alte Dame" als -zigmal geliftete Verkörperung des "dea ex machina"- Gedankens Dürrenmatts, die groteske Karikatur einer Frischzellen-glatten Kombination von Cher und Jackie Onassis mit wehender Milva-Mähne gestaltet. Das erscheint fast noch grausamer als die fett gewordenen Bürger, die im späteren Verlauf eine von Maske und Kostüm hervorragend gestaltete Verjüngungskur durchleben werden. Alfred Ill (hervorragend Rainer Galke in Triumph, Verlogenheit, Angstschweiß und Aufgebung) fällt die Aufgabe zu, Claire zu umgarnen, was hier mit einem Hieb gegen die Luxus-Ausstellung "Boot" auf einer solchen Luxus-Motoryacht in Titanic-Pose zur monumentalen Musik "A Salty Dog" von Procol Harum geschieht. Das ist recht originell, aber wieder mit soviel Symbolik und Zitaten überladen, daß der Effekt den Plot zu ersäufen droht. Die Bühne besticht durch Leere, auf der bereits Details ihr raffinierte Wirkung entfalten. Einfach wunderbar das Boot, das Carola Reuther auf Drehbühne und Rollen montiert vor Güllen kreuzen läßt.

Das Boot

Sehr bald macht Claire dem hoffnungsvollen Wahn ein Ende, indem sie den Preis nennt: sie will den Tod von Alfred Ill, der sie vor Jahrzehnten geschwängert, verlassen, durch Meineid zur Hure gemacht und den Tod des gemeinsamen Kindes verschuldet hat. Dafür bietet die Güllen 1 Milliarde Euro (bei der Uraufführung 1956 war es noch 1 Million - so inflationär hat sich die Welt entwickelt). In ihrer konsequenten Härte und Kälte überzeugt Susanne Tremper. Alle wollen das Geld, also Ills Tod, doch alle distanzieren sich empört von dem perversen Plan
. Aber im/auf dem Boot sitzen sie alle schon bald gemeinsam bei Altbier und Kokain, lassen sich im Vorgriff auf das sicher zu erwartende Vermögen jung

Ensemble - Mitte: Hans Jochen Wagner
spritzen und ihrem Lebenstraum annähern: der transsexuelle Journalist, der korrupte Polizeichef, der machthungrige Politiker, die frustrierte Lehrerin, die erfolglose Schauspielerin. Glänzend gibt Hans-Jochen Wagner einen (wir nennen keine Namen) Professor der Akademie für schöne Künste, der sich als Gesamtkunstwerk bezeichnet und sich des weiblichen Akademie-Nachwuchses bedient: "Ich geh jetzt meine Erstsemester ficken" (aha, der ist gemeint) und der in Gesellschaft junger "Damen" mit Koks um sich wirft (aha, der ist gemeint). "Die Hölle, das sind die anderen!".

1. Korinther, 12

Claire wird nicht nachgeben, zu groß ist ihr Haß, aus dem heraus sie eine eigenwillige "Gerechtigkeit" einfordert. Da nützt auch nicht die Aussprache mit dem einsichtig werdenden Alfred beim Picknick mit Koffergrammophon, das Mary Hopkins "Those were the days" intoniert.  Auch das theologische Anreißen des Problems des Preises der Liebe durch wechselseitiges Zitieren aus dem 1. Brief des Paulus an die Korinther ändert nichts. Auch die Haltung der verjüngten, feiernden und Tontauben schießenden Güllener verhärtet sich. Alfred sieht keinen Ausweg und ergibt sich, nachdem er seinen Suizid als "autoselektive Abwicklung" abgelehnt hat, dem Mehrheitsbeschluß über seinen Tod. Matthias Leja

Rainer Galke - Sus. Tremper
erntet auch jetzt wieder Lorbeeren als begnadeter Demagoge, dem in seinem skrupellosen Kalkül nicht einmal die legendäre "I have a dream"-Rede Martin Luther Kings heilig ist. Als es ihm ans Leben geht, wimmert Alfred noch einmal auf, dann wird er an den Füßen hochgezogen und geschächtet. Mit dem Epilog des Ensembles blutet er aus.
Die ein wenig zur Lokalposse gedrechselte Ensemble-Fassung des "Besuchs der alten Dame" ist trotz überladener Symbolik auf beinahe leerer Bühne durchaus gelungen, wenn auch ausgenommen von Alfred, Siegfried und Günter die überwiegende Zahl der Figuren eher Maske und marginal bleibt. Aber das ist ja vielleicht so gewollt. Das Stück hat zeitangepaßten Unterhaltungswert, nicht mehr - dadurch aber gleichzeitig eine Halbwertzeit von begrenzter Dauer. 

Weitere Informationen unter: www.duesseldorfer-schauspielhaus.de

Fotos © Sebastian Hoppe/Düsseldorfer Schauspielhaus







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