Beckfelds Briefe

An Robinson Crusoe

von Hermann Beckfeld

Hermann Beckfeld - Foto © Dieter Menne
Er wollte nur noch weg von seiner Insel, von seinen Traumstränden, und wäre fast an der Einsamkeit zerbrochen: Robinson Crusoe, der englische Kaufmannssohn, der sich als einziger nach einem Schiffbruch rettete. Der Romanheld von Daniel Defoe ist unsterblich, auch wenn er vor fast 300 Jahren starb.
 
Lieber Robinson Crusoe,
 
Sie können es natürlich nicht wissen, schließlich sind Sie seit fast 300 Jahren tot. Aber Ihnen zu Ehren wurde am 1. Februar 1999 ein jährlicher Gedenktag ausgerufen. Der Robinson-Crusoe-Tag, gewidmet allen Eremiten und Gestrandeten; für mich ein schöner Anlaß, meinem Helden der Kindheit zu danken. Mit jedem Wort, das ich schreibe, muß ich allerdings an die Millionen von Gestrandeten denken, die heutzutage die Armut oder die Angst vor mörderischen Machthabern an Europas Küsten spült. Menschen, die ihre Flucht teuer bezahlen müssen; nicht wenige von ihnen mit dem Leben.
Als Junge habe ich Ihre Geschichte, habe ich den Roman von Daniel Defoe verschlungen. Der englische Kaufmannssohn, der zur See fährt, der sich nach einem Schiffbruch als einziger auf eine unbewohnte Insel rettet. Erst heute wird mir bewußt, warum mich Ihr abenteuerliches Leben so aufgewühlt hat. Es sind die Extreme, die mich fasziniert haben. Robinson, erst einsam, verzweifelt, hoffnungslos; dann aber auch so mutig, so willensstark, geschickt und kreativ, der täglich ums Überleben kämpfen muß.
Als Sie am 19. Dezember 1684 nach insgesamt 28 Jahren, zwei Monaten und 19 Tagen das Eiland verlassen, läßt Daniel Defoe Sie einen Satz sagen, der mich damals überraschte und heute nachdenklich macht: „Als ich am Morgen erwachte und meine Lage überdachte, erschien mir mein Inselaufenthalt wie ein schöner Traum, und ich meinte, daß ich hier ein gutes und zufriedenes Leben geführt habe.“
Falls es Sie interessieren sollte: im Laufe der Jahrhunderte hat sich die Welt total verändert und auch wieder nicht. Es gibt sie nämlich immer noch, grausame Piraten, verzweifelte Schiffbrüchige, nie zufriedene Menschen, die aus ihrem alten Leben ausbrechen, um dann festzustellen, was sie verloren haben.
Auch die Sehnsucht nach einsamen Stränden hat die Zeit überlebt. Doch diese gibt es nur noch für viel Geld und all-inclusive. Lachen Sie nicht, aber manche dieser Traumwelten heißen Robinson Club, geführt von findigen Kaufleuten, die ganz viele Freitags eingestellt haben, damit es Ihren Nachfahren an nichts fehlt.
 
Lieber Robinson Crusoe,
klingt es nicht kurios? Ihnen hat das Paradies nicht gereicht, und uns reicht es heute auch nicht. Gern würde ich mit Ihnen über den Strand laufen und Ihnen Urlauber zeigen, die sich auf Sonnenliegen bräunen. Aber die sehen nicht wie Sie aufs Meer und halten Ausschau nach Schiffen. Die starren auf Geräte, die wir „iPhone“ nennen, und suchen den Kontakt zu einer Welt, der sie eigentlich zumindest für zwei Wochen im Jahr entfliehen wollten.
 
(31.01.2015)
 
 
Mit freundlicher Genehmigung des Autors und des Verlags Henselowsky Boschmann.
„Beckfelds Briefe“ erscheinen jeden Samstag im Wochenendmagazin der Ruhr Nachrichten.

Redaktion: Frank Becker