Beklemmende Dokumentation von hohem Wert

„I am not your negro“ von Raoul Peck

von Renate Wagner

I am not your negro
(USA 2016)
 
Regie: Raoul Peck
Dokumentation
 
Gewisse Themen kommen in Schüben. Das „schwarze“ Amerika hat eine Geschichte, die dunkel genug ist und die offenbar nach Aufarbeitung schreit. In erfundenen Geschichten, in verfilmten Dramen und Romanen, in historischen Begebenheiten. Wir hatten zuletzt viel davon. „I am not your Negro“ zählt zu den dokumentarischen Filmen, wenngleich er so spannend ist wie ein Drehbuch nur sein könnte – und sich dabei auf den besten Geschichtenschreiber der Welt stützt: auf die Realität.
 
James Baldwin (1924-1987) war zu seiner Zeit besonders in Europa, aber auch im liberal-fortschrittlichen Amerika ein Aushängeschild, ein Mann von großer Bedeutung, ein „afroamerikanischer“ Autor (als noch niemand auf die Idee gekommen wäre, anstelle der Bezeichnung „Neger“ den „Afroamerikaner“ zu setzen…), dessen Romane, vor allem aber Essays als wichtige Beiträge und Kommentare zur Rassenfrage in den USA fungierten. Nun hat der Filmemacher Raoul Peck das unvollendete Manuskript „Remember This House“, das sich nach Baldwins Tod in dessen Nachlaß fand, gewissermaßen „bebildert“. Aber wie!
Der in Hawaii geborene Raoul Peck, der einen Teil seiner Jugend im Kongo verbracht hat, war bei der diesjährigen Berlinale mit zwei Filmen vertreten, die sein extrem historisch geprägtes Interesse zeigten: die sehr gelungene Biographie „Der junge Karl Marx“ – und die Baldwin-Dokumentation. Letzteres auch, weil, wie er in einem Interview meinte, „meine Geschichte als Schwarzer nirgendwo erzählt wird“. Der Originaltext von Baldwin, der in der Originalfassung des Films ganz überzeugend von Samuel L. Jackson gesprochen wird, schließt hier eine Lücke.
 
Man hat es ja selbst in seiner frühen Jugend (natürlich aus der Distanz und den Medien) miterlebt und fast schon vergessen – welch entsetzlich zerrissenes Land die USA in den fünfziger und sechziger Jahren waren. James Baldwin war damals nach Europa „geflohen“, in der Überzeugung, nichts, was ihm dort begegnete, könnte schlimmer sein, als das, was ihn in seiner Heimat erwartete: sozialer Terror und Gefahr an Leib und Leben. Dann war er aber in die USA zurückgekehrt, um seinen Beitrag zum Kampf der Schwarzen um ihre Bürgerrechte zu leisten.
Sein Text ist ein biographischer, der zugleich die Geschichte des Landes erzählt: Zurück zu den Morden an Schwarzen, an den Haß, der beide Seiten beutelte, zu dem Widerstand, den gemischte Paare, den schwarze Kinder in weißen Schulen erfuhren. Man erinnert sich an den friedvollen Martin Luther King und den radikal kämpferischen Malcolm X – und daran, daß James Baldwin selbst sich nicht zu den „Black Panthers“ bekennen wollte, weil er sich nie dazu entschloß, alle Weißen kollektiv zu hassen (wobei er den „Rassismus“ auf Seite der Schwarzen durchaus erkannte).
Das Filmmaterial zeigt Baldwin selbst in alten Dokus, vor allem aber, was das Fernsehen damals an Aktuellem aufgezeichnet hat – wie die schwarze Bewegung Schritt für Schritt an Boden gewann, wie sie Unterstützung fand (etwa von Robert Kennedy, der sagte, „Wer auf ein schwarzes Kind spuckt, spuckt auf die ganze Nation“), wie das Bild der demütigen Diener und bescheidenen Hausangestellten und billigen Arbeiter, das aus der Sklavenzeit stammte, sich langsam wandelte. Von Symbolwert war ein Film wie „Flucht in Ketten“ mit Tony Curtis und Sydney Poitier – Weiß und Schwarz, einander verabscheuend, aber hoffnungslos an einander gekettet und gezwungen, mit einander auszukommen…
Sähe ein Schwarzer die Welt wie John Wayne, vermerkte James Baldwin einmal, betrachtete man ihn nicht als Patrioten, sondern als „Maniac“ (Tollwütigen). Unsere Vorfahren hatten gar keine Ambition, in dieses Land zu kommen, erinnerte der Autor an die Verschleppung Hunderttausender Schwarzer aus Afrika, um auf den Baumwollfeldern des Südens die Plantagenbesitzer reich zu machen. Zu Baldwins Zeiten herrschte die Angst der Schwarzen: Wenn sie uns nicht mehr brauchen, werden sie uns ausrotten wie die Indianer. Als die Gewalt von schwarzer Seite ausbrach, analysierte Baldwin die Umkehrung der Emotionen: Heute sind die Schwarzen wütend, die Weißen aber haben Angst…
 
Wobei Gestalter Raoul Peck dann die schwarze „Rassengeschichte“ der USA weit über den Tod von Baldwin hinaus weiterverfolgt, bis zu Obama, dem farbigen Präsidenten. Dennoch: Noch immer scheint „Weiß“ das Synonym für Macht. Und die USA seien nicht das Land der Freien – es sei nur manchmal das Land der Tapferen. „Ihr habt uns Nigger erfunden!“
Das ist ein Film, der nicht nur Erinnerungen beschwört und Unwissende etwas lehrt. Er transportiert auch Emotionen, ohne in billige, einseitige Effekthascherei zu verfallen.
 
 
Renate Wagner