Mühsame Schnitzeljagd

„The Dinner“ von Oren Moverman

von Renate Wagner

The Dinner
(USA 2017)

Regie: Oren Moverman
Mit: Richard Gerne, Steve Coogan, Laura Linney, Rebecca Hall u.a.
 
Wenn zwei Ehepaare in einem widerlich angeberischen Luxuslokal essen, wo der näselnde Oberkellner die albernen Speisen bis zum letzten Krümel anpreist und behauptet, beim Käse im Zweifelsfall die Namen der dazugehörigen Kühe zu kennen… und wenn dann irgendwann auch noch klar wird, daß es bei diesem Treffen zweier Brüder und ihrer Frauen um die Kinder gehen soll, ja, dann denkt man sofort: Yamina Reza! Gott des Gemetzels! Prima Unterhaltung!
Mitnichten. Im Luxuslokal ist man nur selten (was nichts macht) und nie ungestört, denn vor allem Stan Lohman, der Politiker, wird dauernd von seiner im Vorraum telefonierenden Sekretärin beansprucht. Morgen will er einen Gesetzesentwurf einbringen – ja, und als Gouverneur möchte er demnächst auch kandidieren. Man weiß, wie das Leben dieser Leute im Hamsterrad des Politwahnsinns verläuft…
Aber man ist auch deshalb selten im Luxuslokal, weil man sich in einer Romanverfilmung befindet, und da spielen Rückblenden eine große Rolle. „Het diner“ des niederländischen Autors Herman Koch, 2009 erschienen, hieß bei uns „Angerichtet“ und war sehr erfolgreich, auch weil man die Schlüsselgeschichte eines erfolgreichen holländischen Politikers dahinter vermutete.
 
Regisseur Oren Moverman hat die Geschichte einer zutiefst dysfunktionalen Familie in einer dysfunktionalen Gesellschaft erfolgreich und glaubhaft in die USA verlegt, es ist ihm nur eines nicht gelungen: Aus dem Puzzle der Einzelszenen, die bunt durcheinander gewürfelt sind, ein einheitliches, fesselndes Ganzes zu machen. Es bleibt eine inhaltliche Schnitzeljagd, die mühsamer ist, als man sie sich gerne antut.
Da sind erst einmal die Paare zu charakterisieren, wobei der schwer nervenkranke Bruder Paul des sorgenden Politikers nicht nur als Ich-Erzähler, sondern auch als vielleicht interessanteste Figur funktioniert. Ein Lehrer, der offenbar in seinem Job, die Schüler für Geschichte zu interessieren, nicht sehr erfolgreich war, und der nun ein Buch über Gettysburg schreiben will. Eine Szene zeigt die Brüder Stan und Paul beim Besuch des Schlachtfeldes (ein bißchen mehr wie Disney-Land als wie ein Museum angerichtet), ohne daß man wirklich Schlüsse aus den offensichtlich angestrebten Parallelen zur amerikanischen Geschichte ziehen könnte.
Da sind dann auch noch die beiden Ehefrauen, Kate, die schöne Vorzeigefrau des Politikers, die mit ihren Stiefsöhnen umgehen muß, und Claire, die Frau des Lehrers, die eine schwere Krankheit überwunden hat und auch wie panisch an ihrem Sohn hängt.
Und um die Söhne geht es – nach und nach erlebt man dann wirklich, was dieses verzogene Pack getan hat, aus purem, brutalen Jux eine Obdachlose angezündet und es noch so cool und geil gefunden, wie sie brennt, daß man es per Handy filmt und auf den eigenen Computer stellt. Ja, wenn man da nicht noch einen adoptierten afroamerikanischen „Bruder“ hätte, der von seinen weißen Brüdern immer nach allen Regeln der Kunst gepiesackt worden wäre und nun das Video auf YouTube gestellt hat…
 
Darum geht es im Endeffekt – daß die Frauen alles tun wollen, um dieses Verbrechen der Söhne unter den Tisch zu kehren, während der Politiker bereit ist, auf alle seine Ämter zu verzichten, um Sohn und Neffen ihrer gerechten Strafe zuzuführen. Was für ein Thema! Glaubt man es? Immerhin hat Richard Gere hier eine Rolle, in der er bis zum Äußersten gefordert ist: ein Politiker mit Gewissen. Glaubt man es? Immerhin, das Ende bleibt offen.
Mühelos glaubt man Steve Coogan den gestörten, aggressiven Bruder, der allerdings auch kein Gewinn für Welt und Gesellschaft ist. Rebecca Hall als schöne Kate hat einen gewaltigen Ausbruch am Ende, wo klar wird, wie schwer dieses Leben voll von Lasten ist, während man der Welt nur die schöne Fassade vorführt. Und Laura Linney ist einfach ein kämpfendes Muttertier. Und der Nachwuchs – so widerlich (auch im Verhalten den Eltern gegenüber), daß man sich nur fürchten und um den Bestand der Welt bangen kann.
Nein, dieser Film, der im Februar bei der Berlinale im Februar erfolglos um einen Preis ritterte, ist kein Vergnügen. Ihm hilft auch – als Anziehungspunkt für älteres Publikum – Richard Gere nichts, denn die Zeiten, da er Garant für gute Hollywood-Unterhaltung war, sind lange vorbei. Wenn diese harte Geschichte nur nicht so zerfranst erzählt würde…
 
 
Renate Wagner