Skulpturen und Architekturen Rudolf Belling in der „Neuen Galerie“
im Hamburger Bahnhof, Berlin, bis 17.09.2017
Vor nunmehr fast fünfzig Jahren schrieb der prominente Kunsthistoriker J. A. Schmoll gen. Eisenwerth im Katalog der breit angelegten Belling-Ausstellung des Jahres 1967 in der Galerie Wolfgang Ketterer in München: „So geläufig allen Wissenden die Rolle und der Rang Bellings innerhalb der modernen Plastik sind, so wenig bekannt ist doch eigentlich der genaue Weg, den der Künstler beschritt, seine Gesamtentwicklung und der Reichtum seiner Ideen.“ Genannt wird Rudolf Belling regelmäßig als Schöpfer epochaler Skulpturen wie „Dreiklang“, „Erotik“, „Skulptur 23“ oder „Kopf in Messing“, Werken aus den späten 10er und frühen 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts, vergessen wird meistens aber das Davor und das Danach. In der „Neuen Galerie“ des Hamburger Bahnhofs in Berlin ist nun ein repräsentativer Querschnitt durch das erstaunlich vielseitige Œuvre des Künstlers zu sehen, der schon 1922 selbstbewußt geschrieben hatte: „Ob gegenständlich oder gegenstandslos, ich erlaube mir alles, was mir nötig erscheint, um gesetzmäßig organisch zu bilden.“
Typisch für Bellings Arbeiten der späteren 10er und frühen 20er Jahre des letzten Jahrhunderts ist ihre bewegte Form, oder – wie Christina
Neben dem „Dreiklang“ gehört der 1923 geschaffene Kopf „Skulptur 23“ zu den Meisterwerken Bellings, eine konstruktivistische, die Naturform dezidiert auf geometrische bzw. stereometrische Grundformen zurückführende Abstraktion. Das roboterhafte Antlitz mit dem gleichsam freischwebenden, nur durch eine Drahtkonstruktion gehaltenen linken Kugelauge überzeugt fast hundert Jahre nach seiner Entstehung immer noch als Inbegriff des modernen Maschinenzeitalters. Streng stilisiert, aber weniger technoid, wirkt im Unterschied dazu der berühmte „Kopf in Messing“ von 1925, dessen Eleganz daran erinnert, daß Belling in den 1920er Jahren auch im Bereich der sog. angewandten Kunst tätig war, etwa als Schöpfer origineller, „Moden-Plastiken“ genannter moderner Schaufensterfiguren, von denen die Ausstellung einige Exemplare zeigt. Und der – nichtrealisierte – Entwurf einer Tankstelle in Halle an der Saale (1923; in Berlin als Rekonstruktion) mit einer halbkugelförmigen Kuppel, die sofort an die Messingkalotte des Kopfes „Skulptur 23“ denken läßt, sowie Brunnengestaltungen und Bühnen- bzw. Stummfilmausstattungen zeugen von der Überzeugung des Künstlers, daß „Kunstgewerbe Kunst ist und vom Handwerk ausgeht“ und daß es darauf ankommt, „den Unterschied zwischen Kunst und Kunstgewerbe“ zu egalisieren – so Belling 1919 in der Programmschrift „Ja! Stimmen des Arbeitsrates für Kunst“.
Hatte der Künstler 1924 noch in einer großen Einzelausstellung der Berliner Nationalgalerie im ehemaligen Kronprinzenpalais reüssieren können, sah er sich im „Dritten Reich“ zunehmend den Repressionen des NS-Regimes ausgesetzt. Schon 1933 scheiterte durch die Machtübernahme der Nazis seine geplante Berufung als Professor für Bildhauerei an die Vereinigten Staatsschulen für freie und angewandte Kunst in Berlin, an der auch Oskar Schlemmer bis zu seiner Entlassung unterrichtete. 1937 entschloß er sich, in die Türkei zu emigrieren, wo er in Istanbul an der Akademie die Leitung der Bildhauerabteilung übernahm. Sowohl in der Lehre als auch in seiner eigenen künstlerischen Praxis dominierten nun naturalistische und neo-klassizistische Tendenzen, die offenbar den Erwartungen seiner neuer Herren, Mustafa Kemal Atatürk und dessen Nachfolger Ismet Inönü, entsprachen. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs vollzog Belling einen erneuten Kurswechsel, indem er an sein abstraktes Werkschaffen aus der Zeit der Weimarer Republik anzuknüpfen suchte. Zugleich bemühte er sich von Istanbul aus, allerdings mit mäßigem Erfolg, den Anschluß an die Kunstentwicklung Westdeutschlands zu finden. 1966 kehrte er dauerhaft nach Deutschland zurück und ließ sich in der Nähe von München nieder. Eine seiner letzten Arbeiten, die 1969 entworfene Großplastik „Blütenmotiv als Friedenssymbol“, wurde anläßlich der Olympischen Sommerspiele des Jahres 1972 wenige Wochen nach dem Tod des Künstlers auf dem aus Kriegstrümmern errichteten Schuttberg im Münchner Olympiagelände eingeweiht.
Die Ausstellung „Rudolf Belling. Skulpturen und Architekturen“ – die Architektur spielt trotz des Titels eine gänzlich marginale Rolle – ist ebenso sehenswert wie das hervorragend gestaltete und mit kenntnisreichen Beiträgen aufwartende Katalogbuch lesenswert ist. Besonders lehrreich ist sie zudem, da die zahlreichen Bruchstellen im Œuvre des Künstlers von der Kuratoren nicht heruntergespielt, sondern deutlich kenntlich gemacht werden und damit das gängige Narrativ einer linear dem Fortschrittsgedanken folgenden Kunstgeschichte einmal mehr als Mythos entlarvt wird.
„Rudolf Belling. Skulpturen und Architekturen“ - „Neue Galerie“ im Hamburger Bahnhof, Berlin, bis 17.09.2017
Weitere Informationen: www.smb.museum/ - www.rudolfbellinginberlin.de - www.youtube.com/ - www.hirmerverlag.de/
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