„Ich könnte nie ohne dich sein…“

S. Corinna Bille – „Für immer Juliette“

von Frank Becker

„Ich könnte nie ohne dich sein…“
 
„Pornographie ist wie ein grimmsches Märchen für Erwachsene.“
Aus: „Cecilias Tagebuch“
 
Das Thema ist ewig, es ist schier unerschöpflich und die Autoren, Romane, Erzählungen, Gedichte, darüber und dazu sind Legion. Gibt es überhaupt belletristische Literatur, die sich nicht wenigstens am Rande mit ihr befaßt – der Liebe? Überwiegend aber ist sie, analog zum Leben, Kern- und Angelpunkt der Literatur. S. Corinna Bille macht da keine Ausnahme. Sie greift in den acht Erzählungen ihrer Sammlung „Für immer Juliette“ die alles in der Welt bewegende Leidenschaft, das so elementare wie erschütternde Gefühl aus bisweilen ganz vertrackten Blickwinkeln und persönlichen Konstellationen auf. Daß sie dabei keine blumige Liebes-Literatur mit Zuckerguß abliefert, muß für jeden auf der Hand liegen, der ihre übrige Prosa kennt. S. Corinna Bille macht es sich, ihren Figuren und den Lesern nicht leicht, was dem Genuß der Geschichten keineswegs abträglich ist. Im Gegenteil, sie fesselt damit den Verstand an die teils abenteuerlichen Handlungen, die oft genug eng mit dem Erlebnis der kargen, rauhen Bergwelt der französisch Schweizer Alpen verbunden sind.

„Ob es um die unmögliche Liebe geht, um die verbotene, die enttäuschte, die fantasierte Liebe – bei der für ihre leicht schwebende Prosa mit dem Prix Goncourt ausgezeichneten Corinna Bille ist sie immer obsessiv“, schreibt der Verlag im Klappentext. Es ist auch das Unerfüllte und Unerfüllbare, das Zerstörende, das Unheimliche, was das tremendum fascinosum ihrer Geschichten ausmacht. Es sind tatsächlich das Obsessive, das Unerwartete, das Erbarmungslose, die diese Erzählungen so besonders machen.
 
Schon die Titelgeschichte „Für immer Juliette“, mit der auch das Buch eröffnet wird und die den Leser im Handstreich erobert, hebt Billes Texte aus der Masse ähnlicher Veröffentlichungen hinaus. Es ist ein hinreißender Beleg für das Vermögen S. Corinna Billes, ungeschminkt das Leben zu zeigen – hier in dem unabwendbaren wie unumkehrbaren Schritt von der Blüte der Jugend ins Erwachsensein. Juliette erkennt in einem Urlaubsflirt die eigentliche Bestimmung des Verliebens, das sie zwingt, aus der behüteten Enge der elterlichen Fürsorge auszubrechen, den eigenen Weg anzutreten, ohne Blick zurück. Das spürt schmerzlich auch die Mutter, deren Leben damit ebenfalls einen Sinneswechsel erfährt. Zutiefst bewegend.
Aufwühlend auch „In die wilde Rose beißen“ – die in einem Kinderheim in den Bergen angesiedelte Geschichte einer sich bis zur Besessenheit manisch entwickelnden Leidenschaft, der völlig unmöglichen und hoffnungslosen Liebe einer Erzieherin Ende 30 zu einem schlanken Knaben von 13 Jahren. Das sprüht Erotik. In „Cecilias Tagebuch“ zerbricht die Ich-Erzählerin, die sich nichts sehnlicher wünscht als die pure Sexualität mit einem Mann, daran, ihrer Seele und nicht ihres Körpers wegen geliebt worden zu sein. Das ist unerhört dramatisch.
Es sind immer wieder Grenzsituationen, tonnenschwere psychische Lasten („Der Gast Gottes“), das Suchen („Flucht im Dezember“ - mit offenem Ende) und die Einsichten in eigene Unzulänglichkeiten, die Billes Figuren in düsteren, oft unheimlichen Szenerien umtreiben.
Von den Musenblättern empfohlen.
 
„Schon verlässt du uns, Juliette, kehrst uns den Rücken zu,
ziehst deinen Koffer durch den Farn, und man sieht von dir
nur noch deine eigensinnigen, von deinem schweren Zopf
zweigeteilten Schultern.“
Aus: „Für immer Juliette“

S. Corinna Bille – „Für immer Juliette“
Aus dem Französischen von Lis Künzli
© 2017 Edition Blau im Rotpunkt Verlag, 292 Seiten, gebunden – ISBN 978-3-85869-741-7,
CHF 27,- / 25,- € (D)
Weitere Informationen:  www.rotpunktverlag.ch  -  www.editionblau.ch