Beckfelds Briefe

An Charlotte Roche

von Hermann Beckfeld

Hermann Beckfeld - Foto © Dieter Menne
Wie kaum eine zweite Autorin provoziert Charlotte Roche rnit Ihren Büchern, hat scheinbar nach den billigen Bestsellern „Feuchtgehiete“ und „Schoßgebete“ die Gunst ihrer Leser verspielt: Ihr drittes Werk „Maolchen fiir alles“ findet kaum noch Beachtung. Vielleicht, weil das Unnormale schon normal ist. Und nur noch langweilt.
 
Sehr geehrte Charlotte Roche,
 
nein, ich schreibe Ihnen heute nicht, weil Sie gerade Ihren neuen Roman „Mädchen für alles“ veröffentlicht haben. Nie Würde ich das Buch lesen, geschweige denn kaufen. Drei Seiten, die ich aus Ihrem ersten Bestseller „Feuchtgebiete“ überflogen habe, reichen mir. Ich finde Ihre Werke schmutzig, ekelhaft, billig, einfach nur überflüssig. Über Ihren dritten Porno-Roman habe ich nur Verrisse gelesen; ich bin ganz bei unserer Mitarbeiterin Julia Gaß und ihrer Kritik auf unserer Kulturseite. Ihr Schlußsatz: „Schade um jedes Buch, das wegen dieses Romans von der Bestsellerliste geflogen ist.“
Sie hören es heraus: Ihr Geschreibsel ist mir egal; ebenso, daß Sie mit Ihren schamlosen Geschichten Millionen verdienen. Wenn überhaupt, dann ärgere ich mich über die peinliche Quotenjagd der vielen TV-Sender, in deren Talkshows Sie für „Feuchtgebiete“ hemmungslos werben durften.
Ich schreibe Ihnen vielmehr, weil ich mir Gedanken mache: Was treibt eine Frau wie Sie an, so gezielt aus der Normalität auszubrechen, daß es Lesern weh tut? Was muß eine Frau erlebt haben, um wie Sie zu denken, zu fühlen, sich zu offenbaren. „Es hat unfaßbar Spaß gemacht, das Böse abzufeiern und richtig gewalttätige Szenen zu schreiben“, bekennen Sie in einem Interview.
Unlängst habe ich gelesen, daß Sie sich von Ihrem Vater und Ihrer Mutter fortwährend unter Druck gesetzt fühlten, stets erfolgreich zu sein und Bestleistungen zu erbringen. Aus dieser Welt wollten Sie fliehen; mit Verrücktheiten, die ich nicht nachvollziehen kann. Sie fügten sich selbst Wunden zu, um mit Ihrem Blut Bilder zu malen. Sie rasierten sich eine Glatze, probierten Drogen aus, schmissen die Schule vor dem Abitur.
Ihre Kindheit war alles andere als einfach. Als Sie fünf Jahre alt waren, ließen sich die Eltern scheiden, zuvor zogen Sie mit Ihrer Familie mehrmals um; von London über die Niederlande nach Deutschland. Viele dieser Erfahrungen bauten Sie in Ihre Romane ein, durch alle drei Bücher zieht sich Ihre Mutter als Feindbild.
In kaum einer Reportage über Sie fehlt die Tragödie, die Sie ein Leben lang verfolgen, nicht loslassen wird: Auf dem Weg zu Ihrer Hochzeit, die für den 30. Juni 2001 in London geplant war, verunglückte der Wagen Ihrer Mutter; sie wurde verletzt, Ihr Bruder und die beiden Stiefbrüder starben.
 
Sehr geehrte Charlotte Roche,
unseren Volontären, den Auszubildenden in der Redaktion, sage ich immer: Wer sich öffentlich macht, muß mit Kritik leben. Auch Sie mußten lernen, mit Verrissen, auch mit Anfeindungen und Haßtiraden umzugehen. Sie werden auch verkraften, daß nach dem Mega-Erfolg von „Feuchtgebiete“ und „Schoßgebete“ nun Lesungen in verschiedenen Städten abgesagt wurden. Vielleicht, weil Ihren Lesern das Unnormale mittlerweile zu normal ist. Vielleicht haben Ihre Leser Sie aber auch durchschaut.
 
(21.11.2015)
 
Mit freundlicher Genehmigung des Autors und des Verlags Henselowsky Boschmann.
„Beckfelds Briefe“ erscheinen jeden Samstag im Wochenendmagazin der Ruhr Nachrichten.

Redaktion: Frank Becker