Der Schwarze Schwan

Hans Peter Schwarz – „Die neue Völkerwanderung nach Europa“

von Frank Becker

Der Schwarze Schwan
 
 „Die neue Völkerwanderung nach Europa“
Über den Verlust politischer Kontrolle und
moralischer Gewißheiten
 
 
Frivoler Optimismus und gutbürgerliche Gefahrenblindheit
 
Wer derzeit in unserer „offenen“ Gesellschaft Kritik an der Asylpolitik Deutschlands und der Europäischen Union übt, wird sehr schnell, ohne jede Reflexion und sehr radikal von „Bessermenschen“ in eine rechte Ecke gedrängt. Bei Hans-Peter Schwarz, dem renommierten Politikwissenschaftler und Historiker dürfte das allerdings schwer fallen, beruft er sich doch ausschließlich auf amtlich festgehaltene Fakten und Zahlen und auf Untersuchungen „unverdächtiger“ Kollegen. Seine ohne Scheuklappen vorgenommene sachliche Analyse der durch die Masseneinwanderung vor allem der letzten zwei Jahre von Asylsuchenden aus Afrika und Asien entstandene europäische und vor allem deutsche Situation ist messerscharf und daher alarmierend.
Hans Peter Schwarz beschreibt die Situation, der sich Europa gegenübersieht, als „Schwarzen Schwan“, eine Chiffre ein seltenes, allgemein nicht erwartetes Ereignis mit umfassenden, teils fatalen Folgen und vergleicht sie mit Ereignissen wie dem Ausbruch des 1. Weltkriegs, dem Börsencrash 1929, dem 11. September 2001 und ähnlichen Katastrophen. Und er nennt das Kind beim Namen: „Völkerwanderung“. Da mögen Sozialromantiker in „frivolem Optimismus und gutbürgerliche Gefahrenblindheit“ noch immer an die Beherrschbarkeit der Lage glauben – Realisten sehen längst die tatsächlichen Zustände, die längst den Status der abstrakten Gefahr überwunden haben. Die Geschichte zeigt, daß, wenn sich ganze Völker auf den Weg machen, nichts sie aufhalten kann. Das sehen auch einige Politiker so. Schwarz zitiert u.a. Elmar Brok, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Europäischen Parlaments („Eine Völkerwanderung steht an, die wir in den letzten Jahrzehnten und Jahrhunderten nicht erlebt haben“) und Bodo Ramelow, Ministerpräsident Thüringen („Machen wir uns nichts vor, es geht um eine Völkerwanderung.“). Die „Wir schaffen das…“-Politiker von heute werden sich morgen, spätestens übermorgen daran messen lassen müssen.
Längst leben in Deutschland einer amtlichen Schätzung zufolge annähernd 500.000 nicht registrierte Flüchtlinge, die sich im Zuge des Überrennens der deutschen Grenzen im Jahr 2015 der staatlichen Kontrolle entzogen haben. Das entspricht in etwa der Einwohnerzahl Duisburgs. Die Dunkelziffer sei höher, heißt es. Abgelehnte Asylbewerber entziehen sich der Ausreise durch Untertauchen oder werden von den Behörden wegen Überlastung aus den Augen verloren, wieder andere verstricken den Staat durch endlose Gerichtsverfahren in ein nicht mehr aufzulösendes Gewirr juristischer Schritte. Die Kostenlast wird dem Steuerzahler aufgebürdet. Gleichzeitig ist eine fühl- und meßbare unverhältnismäßig hohe Steigerung krimineller Übergriffe auf Bürger und Staat durch Asylbewerber zu registrieren, deren Bogen sich von Urkundenfälschung und Sozialbetrug über Diebstahl und Brandstiftung bis zum Landfriedensbruch, Terrorismus und Mord spannt. Der Staat hat längst die Kontrolle darüber verloren, wer sich und wo in unseren Ländern aufhält und was er dort tut. Nicht nur der Massenmörder Anis Amri verfügt(e) über zahllose Identitäten und viele Smartphones… Von Integration mag man da schon gar nicht mehr reden.
 
Ungeschützte Grenzen

Die offenen Landesgrenzen innerhalb der Union, fehlende Sicherung der Außengrenzen der Europäischen Union, das großzügige Flüchtlingsrecht und die Verheißungen des Sozialstaates werden den Zustrom von armen, hungernden und verfolgten Menschen, aber auch den der arbeitsscheuen, kriminellen und asozialen Einwanderer, die als Eroberer kommen, weiter anschwellen lassen. „Statt den Schutz der Außengrenzen umsichtig zu organisieren, hat die Europäische Union buchstäblich einem jeden der mehr als sechs Milliarden Menschen außerhalb Europas das gerichtlich zu überprüfende Individualrecht zugesichert, ein aufwendiges Asylverfahren zu beantragen. Daß alle Verantwortlichen, die Bescheid wissen, diesen Fehler tief unter der Decke halten, ist verständlich, wenngleich unentschuldbar. So ist eine Lage entstanden, die Henry Kissinger mit den Worten charakterisiert hat: `Wir beob- achten heute ein sehr seltenes historisches Ereignis. Eine Region verteidigt ihre Außengrenzen nicht, sondern öffnet sie stattdessen. Das hat es seit einigen tausend Jahren nicht gegeben´. Beim Blick auf die Faktoren, die seitens der EU zum Kontrollverlust beigetragen haben, muß auch der nicht ganz unerhebliche deutsche Anteil skizziert und
bewertet werden.“
 
Es fehlt der zerstrittenen, übervorsichtigen Politik, zumal der deutschen, aus bekannten Gründen an Weitblick, Konsequenz und raschem, effektivem Handeln. Alle wissen um die aktuelle prekäre Lage, aber kein Politiker möchte der Buhmann der Sozialromantiker und buntscheckigen Friede-, Freude, Eierkuchen-Multikulti-Wähler sein. Alle halten still – bis es zu spät ist.
Hans Peter Schwarz zeigt, wie die Konstruktionsfehler des Schengen-Raums und des EU-Flüchtlingsrechts die heutige Situation ermöglicht haben – und wie eine ziellose Politik des Improvisierens und Durchwurstelns sowie die Auflösungserscheinungen der Europäischen Union sie weiter verschärfen. „Die neue Völkerwanderung nach Europa“ ist ein zutiefst alarmierendes und dadurch ungemein wichtiges Buch, das den Finger in die Wunde legt, Leitlinien entwirft und Denkansätze anbietet.
 
Hans Peter Schwarz – „Die neue Völkerwanderung nach Europa“
Über den Verlust politischer Kontrolle und moralischer Gewissheiten
© 2017 Deutsche Verlags-Anstalt, 256 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag, Anmerkungen
ISBN: 978-3-421-04774-8
19,99 € [D] 20,60 € [A] | 26,90* sFr
 
Weitere Informationen: www.randomhouse.de