Debussy- Francaix

Das 8. Sinfoniekonzert in der 154. Saison des Wuppertaler Sinfonieorchesters

von Johannes Vesper

Shirley Brill, Sergey Smbatyan - Foto © Johannes Vesper

Debussy- Francaix
 
Das 8. Sinfoniekonzert in der 154. Saison des Wuppertaler Sinfonieorchesters
 
Im 8. Sinfoniekonzert am 2. April 2017 war ein rein französisches Programm mit den beliebtesten Orchesterwerken Debussys (1861-1918), nämlich „Prélude a l´aprés-midi d`un faune“ und „La mer“, und mit dem Klarinettenkonzert von Jean Francaix (1912-1997) zu hören.
 
Das „Prélude a l´aprés-midi d`un faune“ (Uraufführung 1894) beruht auf dem gleichnamigen Gedicht von Stéphane Mallarmé, der einen Faun beschreibt, wie er am heißen Nachmittag aus seinem Traum erwacht, in dem er sich schönen Nymphen überlassen hatte. In der heißen Sonne schläft er aber gleich wieder ein. Faun, der altlatinische Gott der freien Natur, schützt Hirten und Felder, betrinkt sich gern und oft und träumt nicht nur von schönen Nymphen. Debussy, der eigentlich gerne Maler geworden wäre, sprach von einer Orchesterpartitur stets wie von einem Bild und schrieb analog dazu die Titel zu seinen Klavierstücken unter die Noten. Ihm waren die Töne aus der Flöte eines ägyptischen Hirten, der in der Landschaft lebt und deren Harmonie hört, lieber als konstruierte, komponierte Musik. So beginnt in dem Orchesterprélude die Flöte mit einem Cis, an das sich abfallende chromatische Sechzehntel bzw. Sechzehntel-Triolen anschließen. Nach Erreichen des Tritonus steigt die Linie wieder auf bis zum Cis, wiederholt sich und bei komplexem Rhythmus entsteht unter flirrenden Streichertremoli und Harfenarpeggien ein Klangbild „wie mit einem trunkenen Besen“ (Zola) gemalt, eine wahrhaft impressionistische Atmosphäre der schwülen Situation des Lüstlings. Eine schöne Einleitung des Konzerts am Sonntagmorgen
 
Darauf folgte das Klarinettenkonzert von Jean Francaix, dessen kompositorisches Werk sich durch Leichtigkeit, Ironie und Gefälligkeit auszeichnet. Schon im Alter von 10 Jahren erhielt er von der großen Nadja Boulanger Kompositionsunterricht. Später pflegte er gute Kontakte zu Francis Poulenc, Darius Milhaud und der Groupe des Six, schätzte aber auch den französischen Impressionismus und den Neoklassizismus Strawinskys. Francaix quälte das Publikum nicht mit Atonalität und Zwölftonkonstruktionen, sondern komponierte publikumsnah und unterhaltsam. Von Hause aus  Pianist, schrieb er viel für Bläser, insgesamt 5 Opern und 16 Ballettmusiken. Sein Klarinettenkonzert von 1968 bezeichnete er selbst als „eine Art Kunstflug für das Ohr, voll von Loopings, Pirouetten und Sturzflügen“, ein Stück voller Virtuosität, Leichtigkeit und Witz, gerade das richtige für Shirley Brill. Sie erhielt zunächst Klarinettenunterricht in Israel, später bei Sabine Meyer in Lübeck und Richard Stoltzman in Boston. U.a.  gewann sie den Internationalen ARD-Musikwettbewerb 2003 und konzertierte als Solistin mit vielen großen Orchestern der Welt, unterrichtet an der Hans Eisler Hochschule für Musik sowie an der Barenboim-Said Akademie in Berlin, spielt seit 2009 die Soloklarinette beim Barenboimschen West-Eastern Divan Orchester und heute eben in Wuppertal. Das flinke Eingangsthema wird mit schnellen Repetitionen eines Tons vom Fagott aufgefangen, die später in der Kadenz mit Trillerchromatik, Pausen und kurzen Einwürfen wieder auftauchen. Das Scherzo im ¾ Takt endet überraschend und im Andante des 3. Satzes entsteht Stimmung zwischen Klarinette und Flöte zu Streicherpizzicato. Das technisch schwierige, gleichwohl amüsante und flotte Konzert endet im Finale furioso allegrissimo. Schwerelos, virtuos und mit elegantem Körpereinsatz zog die Solistin zusammen mit dem gut aufgelegten Orchester unter dem jungen armenischen Dirigenten Sergey Smbatyan alle Register zwischen Volksfestmusik und sprechendem Vogelgezwitscher. Das hatte wahrhaft Charme. Für den anhaltenden Applaus und die Blumen bedankte sich Frau Brill mit Debussys „Syrinx“. Ursprünglich für Querflöte, hinterließ auch mit Klarinette die musikalische Verwandlung der Nymphe in ein Schilfrohr einen großen Eindruck. Traumhaft das ausatmende Diminuendissimo am Ende.
 
Nach der Pause dann wieder Debussy mit seinem Klangbild „La mer“. Auf dem Umschlag des Erstdrucks (1905) des Werkes war der farbige Holzschnitt „The great wave“ des japanischen Künstlers Katsushika Hokusai (1760-1849) zu sehen, Ausdruck des Einflusses der japanischen Kunst auf den französischen Impressionismus jener Zeit. Und obwohl auf dem Bild das Meer blau dargestellt ist, liebte der stets rauchende Debussy vor allem Grün und Schnittblumen. „La mer“ wurde vom Publikum zunächst nicht begeistert aufgenommen, gehörte aber doch bald zu den bekanntesten Werken des Komponisten. Es entstand zu einer Zeit als der „musicien francais“ – so unterzeichnete Debussy seine Briefe und Schriften -, noch produktiv, stimmungsmäßig stabil und gesund, sein gesundheitliches Schicksal nicht ahnte. Elend litt er ab 1915 unter Enddarmkrebs, an dem er trotz Operationen und Bestrahlung am 25.03.1918, also ziemlich genau vor 99 Jahren, starb. Beerdigt wurde er unter dem Feuer deutscher Artillerie auf dem Friedhof Père Lachaise 3 Tage später. Aber zurück zum Konzert und „La mer“. Durch sein bei weit ausholendem Dirigat und bei Drehungen (zu) enges Jackett schien Sergey Smbatyan nicht beeinträchtigt. Er dirigierte das Orchester suggestiv, temperamentvoll und subtil durch die komplizierte Partitur der drei Sätze. Aus gereihten musikalischen Motiven entstand Atmosphäre und Klangempfindung, akustisch ein musikalisch-impressionistisches Bild vom wogenden Spiel der Wellen und des Windes. Das Meer faszinierte schon Beethoven, der noch den Text der Goethe-Gedichte („Meeresstille und glückliche Fahrt“) benötigte, währen Mendelssohn eine reine Konzertouvertüre dazu schrieb. In das tosende Meer beim „Fliegenden Holländer“, von Debussy als „buntes Farbengekleckse“ bezeichnet, taucht der Zuhörer selbst ein und fürchtet um sein Schicksal. Nicht so bei Debussy. Für seine farbigen, bewegten Skizzen spielte das Orchester glänzend auf und erntete großen Beifall des Publikums.