Ein gelungener Schlußpunkt für die Ära Abbrederis

„Der gute Mensch von Sezuan“ kommt an die Wuppertaler Oper

von Daniel Diekhans

Foto © Klaus Lefebvre

Bertolt Brechts „Der gute Mensch von Sezuan“
kommt an die Wuppertaler Oper

Tänzer machen dem Klassiker ordentlich Beine
 
Regie: Maik Priebe - Bühnenbild und Kostüme: Susanne Maier-Staufen - Zusatzmusiken und musikalische Leitung: Stefan Leibold - Choreographie: Silvia Zygouris - Fotos: Klaus Lefebvre
 
Besetzung: Stefan Walz (Wang, Wasserverkäufer) - Judith van der Werff (Erster Gott/ Witwe Shin) - Alexander Peiler (Zweiter Gott/ Schreiner/ Lin To/ Teppichhändler/ Kellner) - Julia Reznik (Dritter Gott/ Frau, ehemalige Tabakhändlerin) - Lena Vogt (Shen Te/ Shui Ta) - Lukas Mundas (Yang Sun, stellungsloser Flieger) - Marian Christopher Reinhardt (Polizist/ Arbeitsloser/ Alte Prostituierte) - Philippine Pachl (Frau Yang, Yang Suns Mutter/ Nichte/ Teppichhändlerin/ Junge Prostituierte) - Miko Greza (Hausbesitzerin Mi Tzü/ Großvater/ Barbier Shu Fu/ Bonze) - Viktoria Kubitza (Schwägerin) - Ates Kaykilar (Mann, ehemaliger Tabakhändler)
Bewegungschor mit den Tänzern des Tanzhaus Wuppertal (Passanten/ Hochzeitsgäste/ Kinder)
 
„Guter Mensch“ – ein gelungener Schlußpunkt für die Ära Abbrederis
 
Regisseur Maik Priebe braucht keine Kulissen, um Brechts „Der gute Mensch von Sezuan“ auf die Wuppertaler Opernbühne zu bringen. Ihm genügen eine ausladende schwarze Bühnenschräge und ein paar Requisiten. Der Orchestergraben ist dagegen ausgefüllt mit Klavieren, Harmonium und Celesta. In der Mitte steht ein Instrument, das Musiker Stefan Leibold selbst konstruiert hat. Es besteht aus einer Platte mit unterschiedlich großen Metallfedern.
Zum ersten Mal kommen sie zum Einsatz, wenn Leibold Schauspieler und Tänzer begleitet. Jawohl, auch Tänzer! An „Verse und Lieder“ hatte Brecht selber schon gedacht und Paul Dessau hatte ihm fünf Songs für die Uraufführung komponiert. Doch die von Silvia Zygouris choreographierten Tänze sind neu und sie machen dem über 70 Jahre alten Stück ordentlich Beine.
Bevor die Handlung um den guten Menschen seinen Lauf nimmt, gibt es eine erste Kostprobe. Während Leibold die Federn anschlägt, verstärkt und mit Effektgeräten zu handgemachter Techno-Musik verdichtet, bewegen sich Schauspieler und Tänzer in geschlossener Formation über die Schräge. Da tanzt keiner aus der Reihe, da sitzt jede Bewegung – und man denkt an die Fabrikszene in Charlie Chaplins „Modern Times“.
 
Priebe wirft auch einen neuen Blick auf die Figuren des Stücks. Den drei Göttern nimmt er jede Spur von Erhabenheit. Mit ihren schwarzen Sonnenbrillen wirken die Darsteller Judith van der Werff, Alexander Peiler und Julia Reznik unnahbar und cool wie Geheimagenten. Ihren Spion, den von Stefan Walz verkörperten Wasserverkäufer Wang, behandeln sie von oben herab. Dennoch berichtet er ihnen zuverlässig über Shen Te, den „Engel der Vorstädte“.
Schon mit ihrem roten Rock sticht Shen Te-Darstellerin Lena Vogt aus dem Ensemble heraus, dem Ausstatterin Susanne Maier-Staufen einen schwarz-weißen Einheitslook verpaßt hat. Ihrem Gesicht kann man jedes Gefühl deutlich ablesen: Freude und Liebe, Enttäuschung und Schmerz.
Diese Offenheit ist in einer egoistischen Gesellschaft gefährlich. Deshalb verwandelt sich Shen Te in ihren fiktiven Vetter Shui Ta, einen rücksichtslosen Manager. Freilich zahlt Shen Te einen hohen Preis für diese Verstellung. Manchmal kann sie gar nicht anders, als aus der Rolle zu fallen – und dann spielt Vogt einen von widerstreitenden Gefühlen gepeinigten Menschen.
Brecht und hoch emotionales Spiel passen also doch zusammen. Auch das Tanzen tut dem Klassiker der Vernunft gut. Neun Schauspieler und zehn junge Tänzer vom Tanzhaus Wuppertal präsentieren sich nicht nur als präzise agierendes Ensemble. In der farbenfroh ausgestatteten Hochzeitsszene bekommt jeder Tänzer sein Solo und bereichert die Mischung aus Modern Dance und Hip-Hop mit zirkusreifer Akrobatik. Da gehört Radschlagen noch zu den leichteren Übungen.


Foto © Klaus Lefebvre
 
Die Schauspieler nehmen den tänzerischen Schwung in ihre Szenen herüber. Ihre Beweglichkeit bewährt sich bei den vielen Kostüm- und Rollenwechseln. Vogts Auftreten als Geschäftsmann wird gespiegelt, wenn Miko Greza überzeugend die verschlagene Hausbesitzerin Mi Tzü spielt. Lukas Mundas glänzt in der Rolle des arbeitslosen Fliegers Yang Sun. Meint der es gut oder böse mit Shen Te? Mundas' Kunst besteht darin, Mitspieler und Publikum darüber bis zum Schluß im Unklaren zu lassen. Auch als Sänger macht er seine Sache sehr gut. Wenn er das „Lied vom Sankt Nimmerleinstag“ singt, ist es so leise im Saal, als ob jeder den Atem anhielte.
Das Stück gehört zur Bühnenmusik von Paul Dessau. Ob sanfte Celesta oder präpariertes Klavier – Stefan Leibold findet für jedes Original die passende Klangfarbe. Hinzu kommen die von ihm selbst komponierten Zwischenmusiken. Aus seinem „Federntisch“ holt er nicht nur elektronische Großstadt-Sounds. Je nach Intensität und Lautstärke seines Spiels klingt das Instrument auch nach einer Glasharmonika oder – passend zum Setting der Bühnenparabel – nach Tempelglocken und Klangschalen.
 
Aufmerksam verfolgte das Publikum am Premierenabend Spiel, Tanz und Musik. Man lachte über die Sezuaner, die sich um die Gunst und vor allem das Geld von Shen Te bemühen. Enthusiastisch der Applaus für Priebes kurzweilige Inszenierung, die die Ära von Schauspiel-Intendantin Susanne Abbrederis abschließt.
 
„Der gute Mensch von Sezuan“ ist wieder am 13. April im Wuppertaler Opernhaus zu sehen. Es folgen Aufführungen am 6. und 7. Mai sowie am 1., 2., 18. und 25. Juni.
 
Weitere Informationen: www.wuppertaler-buehnen.de