Fesselnd

„Neruda“ von Pablo Larrain

von Renate Wagner

Neruda
(Argentinien/Chile/Frankreich/Spanien 2016)

Regie: Pablo Larrain
Mit: Luis Gnecco, Gael García Bernal, Mercedes Morán u.a.
 
Der chilenische Dichter Pablo Neruda (1904-1973), 1971 mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet, hat seine Mitwelt und seine Nachwelt nicht nur durch seine Werke, sondern auch durch sein Leben fasziniert. In „Der Postmann“ (Il Postino) ist er – in der Verfilmung eines Romans von Antonio Skármeta – Leinwandheld geworden, dann auch noch Opernheld, als Daniel Catán 2010 eine Oper für Placido Domingo daraus machte. Skármeta zeigte Neruda in den fünfziger Jahren in seinem Exil auf einer italienischen Insel. Der Film, den Pablo Larrain (der eben erst mit dem Biopic „Jackie“ nachdrücklich auf sich aufmerksam machte) nun vorlegt, spielt früher, zeigt Nerudas Flucht aus seiner chilenischen Heimat im Jahre 1948.
Aber ein richtig handfester biographischer Film ist es nicht geworden – vielmehr eine Dichtung über einen Dichter. Denn die Biographie hätte wohl viel härter ausfallen müssen, da wäre der Polizeistaat anders hinter dem „bedauernswerten“ politischen Opfer her gewesen. Aber nein, hier scheinen zwei Männer in einer seltsamen Beziehung beinahe über die Leinwand zu tänzeln (insofern, und nur insofern, dem „Postino“ verwandt, als Neruda einen für die Geschichte absolut notwendigen Gegenspieler erhält).
 
Die Ausgangssituation des bemerkenswerten Drehbuchs von Guillermo Calderón ist historisch. Da lebte in der Nachkriegszeit in Chile ein unendlich populärer Dichter, dessen Gedichte sozusagen „jeder“ zitierte – den man auch immer nach einem Gedicht fragte, wenn er irgendwo erschien, und er scheint, glaubt man dem Film, den Bitten gerne nachgekommen zu sein. Wie sehr man der Geschichte glauben kann, ist natürlich in Hinblick auf harte Fakten fragwürdig, aber um die geht es ja wohl nicht.
Das filmische Gedicht über den Dichter und seinen Verfolger handelt erst einmal davon, daß Neruda als erklärter Kommunist überall aneckt, vor allem bei einer Regierung, die sich ja mit Hilfe der Amerikaner immer stärker in deren Richtung bewegte. Bis Neruda den Bogen überspannt und vor der Verhaftung steht. Auf der Flucht mit der schönen Gattin Delia taucht er erst einmal ab, bleibt vorerst im eigenen Land, wo er viele Freunde und Genossen hat und nicht aufhört zu dichten (Freunde verschicken die Werke in vielen Briefen, um sie zu retten).
Aber nun kommt Oscar Peluchonneau ins Spiel, der Polizist, der Neruda fangen soll und der das Geschehen über weite Strecken aus dem Off kommentieren darf. Und wie er so hinter dem Dichter herhetzt, ihn immer versäumend, wird die Gestalt fast drollig und die Geschichte geradezu irreal poetisch.
Gelegentlich werden Szenen aus dem „echten“ Chile eingeblendet, wenn Arbeiter verhaftet werden, aber sie passen fast nicht zu dem Film. Erst am Ende stellt sich eine Spur von hier richtig empfundenem, scheinbarem Realismus ein, da muß Neruda dann wirklich fliehen, weg nach Argentinien, allein in die Berge, wo er wieder Helfer findet, knietief durch den Schnee. Und ihm buchstäblich auf den Fersen der „Jäger“, der es dann ist, der es nicht schafft. Als Neruda vor dessen Leiche steht, fragt man ihn, ob er ihn gekannt hat. Nein, sagt er zuerst. Dann „Ja“. Und: „Er war mein Polizist“. Schnitt – Neruda in Paris, wo er u.a. von Picasso, einem Freund und Bewunderer, aufgenommen wurde. Da erzählt er die Geschichte von sich und seinem Verfolger, als wäre es ein Stück von ihm erfundene Literatur.
 
Und die schönsten Szenen des Films haben auch mit Literatur zu tun, wie Neruda etwa in ein Bordell kommt (Kommunist zu sein, hat er nicht spartanisch interpretiert…), vom Transvestiten zum Rezitieren seiner Lyrik aufgefordert wird, was dieser mit einem Kuß belohnt – und als Frau verkleidet, übersteht Neruda, daß der Polizist einmal am richtigen Ort wäre, aber ihn nicht erkennt. Der Zauber der Literatur.
Luis Gnecco ist Neruda, dicklich, mittelalterlich, alles andere als ein typischer Kinoheld – aber man glaubt ihm den Dichter, man glaubt ihm auch den Dandy und ebenso die Abgehobenheit vom wahren Leben. Gael García Bernal als Polizist ist wesentlich schneidiger, gespannter, besser aussehend, mit Hut rast er anfangs durchs Geschehen wie in einem Hollywoodfilm der vierziger Jahre (die vierziger Jahre sind es auch, die im Ambiente – Kleidung, Autos – überzeugend beschworen werden). Wenn er immer ratloser wird, weil er scheinbar einem Phantom nachjagt, weil er von Nerudas Gattin, als er sie findet (da ist der Dichter schon weg) so liebevoll belächelt wird, hat man fast Mitleid. Und vergißt, daß die Situation des Gejagten und der Jäger in der Realität vermutlich so lustig nicht war.
Aber ein Regisseur kann die Position wählen, die er einnehmen will, Pablo Larrain hat es getan, und wenn man mit ihm in diese seine Geschichte einsteigt, ist man völlig gefesselt, so langsam sie sich in ihrem hintergründigen Humor auch bewegt.
 
 
 
Renate Wagner