Wie leicht entsteht nicht ein Gedicht
Die Herausgeberin Gabriele Sander, Literaturwissenschaftlerin an der Universität in Wuppertal, hat sich gewiß manchesGedicht ihrer ursprünglichen Materialsammlung vom Herzen reißen müssen, als sie für den Reclam Verlag das lyrische Themenbändchen "Herz- Gedichte" zusammenstellte. Aus der ungeheuren Fülle (nicht grundlos spricht man auch von Herz-Schmerz-Lyrik) der lyrischen Ergüsse alleine deutscher Zunge über das Herz als Sitz der Liebe war auszuwählen. Für 86 Gedichte von 74 Autoren, zwei davon anonym, hat der Platz gereicht. Wir wollen hier nicht bejammern, was eventuell alles fehlt, denn jede Auswahl ist zwangsläufig subjektiv. Wir wollen uns über die zärtlichen, groben, heiteren oder auch traurigen Verse und Strophen freuen, die unseren Dichtern aus der Feder (und dem Herzen) geflossen sind - von Heinrich von Morungen fein auf kostbares Pergament geschrieben und von dem anonymen Verfasser des berühmten "Dû bist mîn, ich bin dîn" vielleicht mit dem Griffel in eine Wachstafel gedrückt, einigen, wie dem Idealisten Hölderlin und dem Geheimrath von Goethe noch mit heißer Seele aus dem Gänsekiel geströmt, von anderen im Café mit dem Bleistiftstummel auf die Rückseite einer Speisekarte gebannt und von wieder anderen wie etwa Erich Kästner und Mascha Kaléko den Tasten einer Reiseschreibmaschine anvertraut - vielleicht gar einer "Gabriele" von Triumph. Die kleine, nichtsdestoweniger höchst lesenswerte Anthologie beginnt so, wie es das Lyrik-Verständnis vieler Poesie-Album- Besitzerinnen tut: mit dem Album-tauglichen Gedicht "Poetik" von Conrad Ferdinand Meyer: Wie leicht entsteht nicht ein Gedicht Und flattert mit den Schwingen, Doch kommt es aus dem Herzen nicht, Wird´s nicht zum Herzen dringen. Natürlich geht die Sammlung danach sogleich in die Tiefe. Gabriele Sander hat rare Gedichte von Hermann Broch, Kurt Schwitters und Durs Grünbein entdeckt und eingefügt, sie hat Funde aus dem Schatz der mittelalterlichen Lyrik aufgenommen und neben der frommen Hinwendung zum Herzen Jesu durch Paul Gerhardt und Angelus Silesius, neben der Melancholie Georg von der Vrings auch die heitere Seite mit dem in seinem 100. Todesjahr unvermeidlichen Wilhelm Busch, mit Ringelnatz und Robert Gernhardt nicht ausgelassen. Sogar das Abenteuer des süßlichen Kitsch ist präsent: Henriette Hardenbergs "Südliches Herz" ist ein Beispiel für solch klebrige Ergüsse und auch Ulrike Draesners "autopilot II" schrammt vielleicht wegen der beinahe ulkigen Nähe zur Humanmedizin an diesem Abgrund vorbei, in den auch Rose Ausländer einen Blick wirft. Alles in allem aber bleibt "Herz-Gedichte" ein erfreulicher Ausflug in die Lyrik des Herzens. Rilke, Stadler, Eich, Celan, Hunold, Wolfenstein, Jandl... nur einige Namen, die für eine lange Liste derer stehen, die ihr Herz haben sprechen und die Feder über das Papier haben gleiten lassen. Am 16. April stellt Gabriele Sander ihr Buch mit einer Lesung im Literaturhaus Wuppertal vor. |
Herz-Gedichte © 2008 Philipp Reclam jun. Geb. Format 9,6 x 15,2 cm. 111 S.
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