Reflexionen und Abschiede

Franz Hohler – „Alt?“

von Frank Becker

Reflexionen und Abschiede
 
 
Wird die Sparlampe / die du im WC einschraubst
Brenndauer 10 000 Stunden / länger halten als du?
 
Man muß nicht alt sein, um Franz Hohlers Gedichte zu verstehen – aber es schadet nicht und  hilft durchaus beim Verständnis, wenn man doch ein bereits ein wenig vom Geschmack des Alter(n)s gekostet hat. Vor nur wenigen Jahrzehnten galt als alt, wer die 60 überschritten hatte, als ein Greis gar, war man über 70. Die Kleidung war in unauffälligem Stil und gedeckter Farbe vorgeschrieben, damit man auch ja so alt aussah, wie die GEsellschaft es erwartete. Man hatte alt zu sein, auf Biegen und Brechen.

Es hat seither ein erfreulicher Wandel stattgefunden. Und so plakatiert Franz Hohler seine Textsammlung zu Erkenntnissen und Fragen des Älterwerdens und dessen Erscheinungen zwar unmißverständlich mit dem heute beinahe als Tabu gesehenen Wort „Alt“, nicht jedoch, ohne ihm gleich ein Fragezeichen zuzugesellen. Das macht aus der scheinbaren Feststellung eine Frage – und die beantworten wir uns doch alle gerne mit Nein! Zweifel sind erlaubt – in beide Richtungen.
Dennoch, es kommt unaufhaltsam, das Alter – und mit ihm irgendwann das Ende. Hilft da die App „Leben“ auf dem Smartphone, um Freund Hein mit einer Fingerbewegung wegzuwischen? Ironisch stellt Franz Hohler das in den Raum. Das Ende aber ist unausweichlich:
 

Warte nur
 
Irgend einmal
nimmt der Tod
die Sonnenbrille ab
 
und schaut dich an.
 
 
Die Zeit der Apfelbäume ist vorbei. Wohl ebenso wenig wie jener läßt auf Dauer Mutter Erde auf sich herumtrampeln, sich ins atomare Bockshorn jagen. Am Beispiel Fukushima (und es gibt neben Tschernobyl noch etliche andere: Harrisburg, Doel, Tihange, Cattenom, Fessenheim…) zeigt er, was geschieht, wenn es die Erde juckt. Eine Riesin, die mit der Hilfe ihrer Verbündeten, der Natur, ohnehin das letzte Wort haben wird.
Es wäre aber nicht Hohler, wenn er nicht immer wieder mit den Augen zwinkern würde, mit leiser Melancholie auf die schönen Seiten des Lebens, seiner Gewohnheiten und guten Weggefährten deuten würde. Freunde gehen, denen man nachwinkt – Franz Hohler tut es für den Clown Dimitri, der „uns nahe brachte, daß auch Poesie / eine Form der Erkenntnis ist“ und „der in unserem Herzen ein Gästezimmer bewohnte“. Und er trauert um Freunde und Weggefährten wie Schriftstellerkollegen Urs Widmer, den Freund Hans Arp, Lyriker und Bildender Künstler und den Schuhmachermeister Cosimo Gaetani, dessen Tod ein Fanal war.
 
Es ist, so schmal es mit seinen 96 Seiten erscheint, ein reiches Buch, eine vielschichtige Auseinandersetzung mit dem Alter und dem Tod, denen man vielleicht nur so angemessen begegnen kann. Eine Empfehlung der Musenblätter.
 
Achtung!
 
Wenn du
das Alter betrittst
setz den Helm auf
 
es herrscht
Steinschlaggefahr.
 
Franz Hohler – „Alt?“
Gedichte
© 2017 Luchterhand Literaturverlag, 96 Seiten, gebundenes Buch mit Schutzumschlag
ISBN: 978-3-630-87544-6
16,- € / 21,50 sFr
Weitere Informationen:  https://www.randomhouse.de