Die Magie der Zahlen – eine Zugabe

Vom Geheimnis der apokalyptischen Ziffern „666“ und „144“

von Heinz Rölleke

Prof. Dr. Heinz Rölleke - Foto © Frank Becker
Die Magie der Zahlen – eine Zugabe
 
Vom Geheimnis der apokalyptischen Ziffern
„666“ und „144“
 
von Heinz Rölleke
 
 
Wenn man als Geisteswissenschaftler über Zahlen und ihre (symbolischen) Bedeutungen referiert, wird man in diesem Zusammenhang am häufigsten nach einer bestimmten biblischen Zahl befragt – so auch jüngst wieder nach dem in diesen MUSENBÄTTERN (27. 01. bis 17. 02. 2017) veröffentlichten Aufsatz „Die Magie der Zahlen“: Was hat es mit der „666“ in der Geheimen Offenbarung auf sich? Solche Fragen stehen in einer uralten Tradition; sie kamen wohl schon unmittelbar nach der Niederschrift der neutestamentarischen Apokalypse am Ende des 1. Jahrhunderts auf. Es geht um die Beschreibung und Deutung des vor dem Jüngsten Tag erscheinenden „Tiers“, in dessen Gestalt der Antichrist erscheinen wird; von ihm heißt es dezidiert, aber doch kryptisch genug: Seine Anhänger trügen als Zeichen an der „Stirn“ seinen „Namen“ oder „die Zahl seines Namens. Hier ist Weisheit! Wer Verstand hat, der überlege die Zahl des Tiers; denn es ist eines Menschen Zahl, und seine Zahl ist sechshundertsechsundsechzig“ (in der Vulgata: „numerus enim hominis est, et numerus ejus sexcenti sexaginta sex“; Offenbarung. 13,18).
 
Die Diskussionsbeiträge waren und sind bis heute meist hoch spekulativ, zuweilen ephemer und oft sachlich schief oder gar falsch, wie einige Beispiele zeigen können. Früheste Umrechnungen des Zahlenwerts in Buchstaben (a = 1, b = 2 usw.) ergaben für das hebräische bzw. griechische Alphabet angeblich die Namen „Nero“ oder auch „Nerva“ - römische Kaiser, denen man Christenverfolgung anlastete. Später errechnete man mit einigen kleinen Verdrehungen aus dem Namen MAOMETI die Zahl 666; die deutschen Protestanten, die früher im Papst den Antichrist sahen, behaupteten fälschlich, dieser führe den Ehrentitel „Stellvertreter des Sohnes Gottes“, dessen lateinische Umschreibung gemäß den Buchstaben-Zahlenzeichen 666 ergibt: VICarIVs fILII DeI (5+1+100+1+5+1+50+1+1+500+1=666). Den Titel hat der römische Bischof zu keiner Zeit geführt; hier war also der Wunsch der Vater des Gedankens bzw. des Rechenexempels. Der Gegenschlag ließ nicht lange auf sich warten: Anhand einer anderen Zahl-Buchstaben-Wertung (a-k=1-10, l=20, m=30 usw.) kamen die Katholiken bei dem etwas geschönten Namen MARTIN LUTHERA ihrerseits auf die Zahl des Antichrist. Bereits 1662 spottet Johann Praetorius, „daß ein Klügeler den Rübezahl zum Antichristischen Thiere, das in seinem Namen 666“ trage, machen wollte. Und noch 1799 machte sich der Aufklärer Friedrich Nicolai in seinem Roman vom „Magister Nothanker“ über solche immer mehr ins Kraut schießende Deutereien lustig: „Die Entdeckung aber, worauf er sich am meisten einbildete, war, daß die Zahl 666 die Jesuiten bedeute.“ Die ernsthafte Bibelexegese hat solche meistens gehässigen Spekulationen längst aufgegeben, aber immer erneut rechnen bestimmte Sektierer oder Esoteriker vor, daß die Zahl etwa auf Adolf Hitler oder andere zwielichtige Gestalten der Weltgeschichte zu beziehen sei.
 
Angesichts all dieser seltsamen Resultate fragt man sich verwundert, warum man bei solchen Rechnungen kaum einmal auf die Eigenschaften der Zahl 666 als solcher aufmerksam gemacht hat. Immerhin war auch einigen Nichtmathematikern die Merkwürdigkeit aufgefallen, daß die numerische lateinische Schreibweise jedes Zahlenzeichen in konsequent absteigender Linie mit D-C-L-X-V-I (500-100-50-10-5-1 oder umgekehrt) ein verblüffend stimmiges Bild zeigt und daß die Summe dieser 6 Zeichen 666 ausmacht. Neben weiteren auffälligen Seltsamkeiten sei hier nur noch auf zwei erstaunlich glatt aufgehende Rechnungen hingewiesen: Einmal summieren sich die Quadrate der ersten 7 Primzahlen (4-9-25-49-121-169-289) zu 666, zum anderen ergibt die Addition der von 36 (6 mal 6!) an in absteigender Linie begegnenden Zahlen (36+35+34...+1) wiederum 666.
 
Die Apokalypse hat offensichtlich als Kennzeichen des Antichrist also eine in mathematischer Hinsicht recht auffällige Zahl gewählt. Solche Ziffern stehen in der Bibel zuweilen in sehr präzisen Zusammenhängen. So hat man über die hebräischen und griechischen Buchstaben und deren Zahlenäquivalente errechnet, daß die numerische Addition der alttestamentarischen Namen „Abram“ und „Hagar“ genau den Zahlenwert von „Ischmael“ (Sohn des Abraham und seiner Nebenfrau; 1. Mose 16, 24.1-21) ergibt und daß die zentralen Begriffe am Ende des Johannesevangeliums Σίμων und Ιχθύς (Simon und Fisch) in ihren Zahlenwerten addiert 153 ergeben, exakt die Anzahl der Fische, die Petrus gefangen hat (Joh. 21,11). Die erste Bedeutungsebene solcher biblischer Zahlen besteht also in ihrem nachrechenbaren Verhältnis zueinander: Wenn man auch nur einen Buchstaben aus den betroffenen Wörtern änderte, würde die Rechnung nicht mehr stimmen. Man kann in solchen Setzungen also auch Instrumente der Textsicherung erkennen.
 
In der Apokalyse begegnet uns neben der 666 als ebenso bezeichnende Zahl die 144 (Quadrat der heiligen Zahl 12). Das Himmlische Jerusalem ist quadratisch und seine Mauern messen „144 Ellen“ (Offb. 21,17); 144.000 Erwählte, die den Heiligen „Namen auf der Stirn“ tragen, stehen den Dienern des Antichrist, die dessen „Namen auf der Stirn“ tragen (Offb. 13,18) gegenüber. Die Zahl des wiederkehrenden Christus und die des Antchrist stehen mathematisch tatsächlich in einem Zusammenhang, der indes nicht leicht zu erkennen ist. Schon in der Mathematik der Antike spielte die Zahl Pi eine große Rolle. Sie errechnet sich bekanntlich aus dem Verhältnis vom Umfang zum Durchmesser eines Kreises. Die Rechnung geht nicht glatt auf, sondern es ergeben sich (offenbar unendlich viele) Stellen nach dem Komma: 3,141592... Addiert man die ersten 20 Ziffern nach dem Komma, so ergibt sich die Zahl 100, eine Auffälligkeit, die man schon früh entdeckt hat. Weniger auffällig und bis heute in diesem Zusammenhang kaum beachtet ist die Tatsache, daß die ersten 144 Ziffern der Zahl Pi nach dem Komma zusammengezählt genau 666 ergeben. Es sieht so aus, also stünden die Zahl der Heiligen und die der Verdammten der Apokalypse in einem geheimen Zusammenhang.
 
Damit fällt vielleicht ein Licht auf die Tradition, Pi zu den Teufelszahlen zu rechnen: Der Teufel kann nach dem Volksglauben nichts Vollkommenes oder auch nur Harmonisches schaffen; die Rechnung 'seiner Zahl' wird in Ewigkeit nicht aufgehen. Dagegen begegnet die Heilszahl, mathematisch gesprochen, ohne Bruch, in geradezu vollkommener Harmonie: „Das heilige Jerusalem hatte 12 Tore und auf den Toren 12 Engel“ (Offb. 21,12; vgl. auch das Mauermaß von 144 Ellen). In der Folge ihrer Zahlenreihe prallt die Teufelszahl exakt an der 144. Stelle auf die ihr gegenüberstehende Heilszahl. Sind diese Überlegungen erwägenswert, so bedeutet das auch, daß gemäß der Apokalypse dem Antichrist und seiner Zahl 666 die geometrische Form des Kreises, dem wiederkehrenden Christus und dem Himmlischen Jerusalem die Zahl 144 und das Quadrat zugeordnet sind.
 
In einigen sakralen Bauten sollte zu allen Zeiten etwas vom Charakter des himmlischen Gerusalemme quadrata sichtbar werden; altehrwürdige Beispiele sind die Hagia Sophia in Istanbul und die Stationskirche Santa Croce in Gerusalemme in Rom.
Speziell für die dem heiligen Jerusalem zugeordnete Zahl 144 bietet die gotische Dombaukunst in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts besonders bemerkenswerte Beispiele. Die Höhe des Mittelschiffs der Kathedrale von Amiens ist nach dem Längenmaß des römischen Fußes (=29,64 cm) entworfen, und zwar in einer Höhe von exakt 144 Fuß (43,30 Meter). Die wenig später erbaute Kathedrale von Beauvais bemißt die Mittelschiffhöhe ebenfalls nach der Zahl des himmlischen Jerusalem, um aber Amiens zu übertreffen, legte man für die wiederum 144 Fuß die französisch-königliche Maßeinheit (=32,48 cm) zugrunde. Damit hatte man das Ziel eines Höhenrekordes (48,50 Meter) erreicht, ohne auf die Symbolzahl 144 verzichten zu müssen.
 
Durch die Jahrhunderte finden sich entsprechende Anspielungen in Wort und Bild, so etwa daß das Produkt teuflischer Hybris, der Babylonische Turm, immer in Kreisform vorgestellt wird, während „Jerusalem quadrata“ ein stehender Begriff durch die Jahrhunderte ist. Wenn auf alten Stichen der Endkampf zwischen dem wiederkehrenden Christus und dem Antichrist skizziert wird, so ist ersterer fast immer in einem quadratischen, letzterer in einem runden Festungsbau plaziert. In Dantes „Divina Commedia“ wird das „Inferno“, das Reich des Teufels und der Verdammten, als kreis- und trichterförmig vorgestellt; das „Paradiso“, das Reich Gottes und der Erlösten, besteht aus Sphären. Über Dante führt eine weitere Brücke zwischen den untergründig verfeindeten Zahlen 666 und 144: Den 9 Kreisen der Hölle stehen 9 Sphären des Himmels gegenüber; jeweils 9 ist die Quersumme sowohl von 666 wie von 144. Und wenn exakt im 12.(!) Gesang des „Paradiso“ der Name „Cristo“ erstmals als Reimwort erscheint, dann ist das genauso signifikant wie die durchschnittliche Länge von 144 Versen in den jeweils 17 Gesängen des „Paradiso“ wie des „Purgatorio“. Der expressionistische Lyriker Johannes R. Becher spielt auf diese Gegebenheiten mit der Form seines Gedichtes „Dante“ an, dessen 36 vierzeilige Strophen einen Gesamtumfang von genau 144 Versen errechnen lassen. Eine direkte, allerdings sehr versteckte parodistische Zitierung der biblischen Zahl 144 findet sich am Beginn der Mozart-Oper „Figaros Hochzeit“, wenn Figaro für das Brautbett Maß nimmt und dabei mehrfach folgende Zahlenreihe absingt: 5-10-20-30-36-43; die Summe ist 144, einige Szenenanweisungen bestätigen, daß Mozarts Librettist, der Ex-Theologe Lorenzo Da Ponte, diese Anspielung auf die Bibel ganz bewußt eingesetzt hat. Schon viel früher führen im Spielmannsepos „König Roter“ (entstanden um 1160) 12 christliche Grafen je elf Gefolgsleute ins Land der Heiden: 144, die Heilszahl des neuen Gottesreichs soll gegen dessen Widersacher den Sieg bringen. Den Gottesfeinden aber wird oft die Zahl 666 zugesellt: Die Geißelung Christi sei durch „666 allerhand unbarmhertzige verwegene Soldaten“ vollzogen worden, weiß Johann Klaj 1644 in seinen „Redeoratorien“ zu berichten. Ende des 18. Jahrhunderts nennt Moritz August von Thümmel auch die 666 unter den Namen der teuflischen Fregatten, die das christliche Staatsschiff versenkt haben: „Drei Sechser zieren des Schiffes Namenszug, den sonst eins von den Thieren der Offenbarung trug.“ Bis in die Gegenwart reicht die traditionelle Verteuflung der Zahl 666, denn weltweit nennt man das Roulette-Glücksspiel, bei dem schon so mancher sein Vermögen und mehr verlor, „The Devils Game“: Die Summe der Roulette-Zahlen 1-36 ist 666.
 
In der Teufelszahl Pi ist 666 ist die Summe der 144 Rest- oder auch Bruchzahlen hinter dem Komma, aber auch damit findet die Zahl kein Ende, deren Berechnung eben nie bruchlos aufgeht. In einem Paralipomenon zu Goethes „Faust“ wird dieses Manko in einen Vorzug umgedeutet, und zwar ausgerechnet von Mephisto. Der Teufel will offenbar die Würde solcher als defekt geltenden Zahlenverhältnisse wiederherstellen, indem er argumentiert, daß die unendliche Unabgeschlossenheit der Zahl tatsächlich das eigentliche Geheimnis ihrer Bedeutung berge, nicht aber Zahlen wie etwa 144:
 
Und merck dir ein für allemal
Den wichtigsten von allen Sprüchen
Es liegt dir kein Geheimniß in der Zahl
Allein ein grosses in den Brüchen.
 
 
© 2017 Heinz Rölleke
Redaktion: Frank Becker