Mit der Spannung eines guten Theaterstücks

„Empörung“ von James Schamus

von Renate Wagner

Empörung
(Indignation / USA 2016)

Regie: James Schamus
Mit: Logan Lerman, Tracy Letts, Sarah Gadon, Danny Burstein, Linda Emond u.a.
 
Das Nobelpreiskomitee wird Philip Roth den verdienten Literatur-Nobelpreis vermutlich so lange verweigern, bis es zu spät und er tot ist – was nichts an der Bedeutung dieses Autors für die amerikanische Literatur ändert. Mittlerweile verfilmt man ihn auch des öfteren, obwohl seine Geschichten natürlich keinerlei Harold-Robbins-Vordergründigkeit zu bieten haben. Zuletzt hat Ewan McGregor ein „Amerikanisches Idyll“ auf die Leinwand gebracht, der Zerfall von Familien durch die bürgerkriegsartigen Zustände anlässlich der Vietnam-Proteste. Nun ist „Empörung“ an der Reihe.
 
Die Deutschen haben die unauslöschliche Schuld auf sich geladen, die Juden körperlich vernichten zu wollen (was ihnen bei sechs Millionen Menschen auch geglückt ist). An der Diskriminierung der Juden haben sich auch andere Völker und Nationen beteiligt. Philip Roth – selbst Jude – erzählt das an einem Beispiel aus den Fünfziger Jahren in den USA.
Zu Beginn gibt es Krieg, junge Amerikaner im Angriff auf eine Koreanische Stellung, viele von ihnen sterben. Erst später wird klar (was der Leser von Roths Roman allerdings schon weiß), daß einer, der hier starb, rückblickend seine Geschichte erzählt. Es ist Marcus Messner, Sohn eines – wie man in Österreich sagt – jüdischen Fleischhauers aus Newark, NJ. Das rangiert gesellschaftlich in den USA nicht hoch, aber innerhalb der jüdischen Gemeinde ist Vater Max Messner (Danny Burstein). ein angesehener Mann. Man kennt ihn ja nicht so genau wie seine Frau Esther (Linda Emond), die am Ende am erratischen Benehmen des Gatten so sehr verzweifelt, daß sie sogar überlegt ihn zu verlassen. Aber das kommt erst später.
Wie die meisten Juden sehen die Messers den wahren Aufstieg im intellektuellen Bereich, und es ist eine große Sache, daß Sohn Marcus klug genug ist, um eine Stipendium am Winesburg College in Ohio zu erhalten. (Roth hat diese Universität erfunden, um mit keiner konkreten Institution in Konflikt zu geraten.) Die Studenten hier sind großenteils weiß und katholisch, tatsächlich zählt es zur Pflicht, hier bei Messen zu erscheinen. Was die jüdischen jungen Männer (ein paar, die sich zu einer Gemeinschaft zusammen gefunden haben, der Marcus nicht beitritt) sogar auf die Idee brachte, sich einen Ersatzmann zu kaufen, der ihre Anwesenheit dabei bestätigt – was am Ende sehr schief geht.
Die Versuche des sehr klugen, sehr überlegten jungen Marcus Messner (eine Meisterleistung des knapp 25jährigen Logan Lerman, der sich seit seinem jungendlichen D’Artagnan enorm weiter entwickelt hat), im College unter seinen zutiefst gewöhnlichen, keinesfalls intellektuellen Kollegen nicht anzuschrammen, gelingen so halb und halb. Was er nicht schafft, ist die tückische, hinter schleimiger Höflichkeit verbrämte antisemitische Niedertracht des Dekans der Universität, Caudwell, auszuhebeln. Tracy Letts, auch als Dramatiker bitteren amerikanischen Alltags bekannt (wir haben in Wien 2009 im Akademietheater „Eine Familie“ gesehen, inszeniert von Alvis Hermanis, später übrigens verfilmt mit Meryl Streep und Julia Roberts), ist hier atemberaubend in seiner hintergründig herabsetzenden Gesprächsführung, so daß man die „Indignation“ (so der Originaltitel – hat auch mit Indignation, Abscheu zu tun) des jungen Marcus nur zu gut versteht. Unbegreiflich übrigens, daß Letts nicht auf der „Oscar“-Liste der besten Nebendarsteller steht.
 
Und noch eines wird klar: Er kann sich noch so bemühen, seine Leistungen können noch so brillant sein, man wird ihm eine Falle stellen, in die er tappt – und ohne Universität im Hintergrund ist der Kriegseinsatz (und das letale Ende eines so vielversprechenden jungen Mannes) unvermeidlich…
Im Grunde würde all das für eine Geschichte, für einen Film reichen, aber natürlich muß Roth (der als ewiger homme à femmes natürlich keinen schwulen Helden zeichnet, wie so viele seiner Zeitgenossen es tun) auch von der „ersten Liebe“ schreiben. Die für Marcus allerdings ziemlich erschreckend ausfällt, als die scheinbar unschuldvolle Blondine (wir sind Anfang der 50er Jahre, Doris Day was das Idol) ihm gleich bei der ersten Begegnung die Art von sexueller Befriedigung gewährt, die den jungen Mann nur entsetzen kann. Dennoch verliebt er sich in sie und läßt sich auf das, wie sich bald herausstellt, schwer gestörte Geschöpf ein (Sarah Gadon gibt dieser Olivia Hutton mehr als doppelten Boden) – und verzichtet auf sie, weil seine jüdische Mutter sich ein solches Geschöpf nicht als Schwiegertochter vorstellen kann. Roth macht auch klar, daß es zwar eine Stärke bedeutet, in einer jüdischen Community geborgen zu sein, gleichzeitig aber auch all die Nachteile mit sich bringt, die sich durch die Orientierung an der gnadenlosen Meinung der Mitmenschen ergeben… Es ist also nicht nur die amerikanische Gesellschaft, der er in seinem Werk die Leviten liest, sondern auch seine eigene jüdische.
 
Und Regisseur James Schamus begnügt sich nicht mit der nostalgischen Szenerie, die hier nicht die fröhliche Frische der Doris Day-Filme, sondern durchaus etwas Bedrohliches hat, sondern inszeniert auch die ganze Geschichte (mit der großen Auseinandersetzung zwischen Marcus und dem Rektor im Zentrum) mit der Spannung eines guten Theaterstücks. Und dabei hat Philip Roth nur ein Stück alltäglichen amerikanischen Alltags anno dazumal geschildert.
 
 
Renate Wagner