Zu Gast bei einem Veteran

Odyssee. Frei nach Homer, erzählt von einem Gärtner.

von Martin Hagemeyer

Foto © Sebastian Eichhorn

Zu Gast bei einem Veteran
 
Homers „Odyssee“ in Wuppertal: Ein Irrfahrer lädt ins Treibhaus
 
Fassung von Torsten Krug, in der Übersetzung von Johann Heinrich Voß.
 
Regie: Torsten Krug. - Es spielt: Miko Greza.

Die Odyssee gilt allgemein als Urmythos. Was das genau heißt, wird seltener gefragt, und ein Stück darüber muß es vielleicht auch gar nicht klären. Zu spannend ist allein ihr Inhalt, der auch bequem Stoff für große Bühnenspektakel liefern würde. Regisseur Torsten Krug zeigt beim Schauspiel Wuppertal eine andere Möglichkeit der Umsetzung, und zwar in einem Gewächshaus: „Odyssee – erzählt von einem Gärtner“ ist ein außergewöhnlicher Soloabend mit Miko Greza und konfrontiert den Zuschauer mit Odysseus als Erzähler.
 
Ein Abenteuer als Vortrag darzubringen, das entspricht ja zunächst einmal der antiken Tradition des Rhapsoden, der vor begierigem Publikum Verse zu Gehör bringt. Üblicherweise ist das freilich nicht seine eigene Lebensgeschichte. Zweite Besonderheit heute: der Spielort im Botanischen Garten. Das Glashaus auf der Hardt verlangt Anfahrt oder Aufstieg auf die Höhen, und wer denn eingelassen wird, trifft auf geballtes Grün und Wärme. Kein Wunder in einem Treibhaus, aber was will es uns sagen?
Das wird schnell klar, wenn Greza auftritt, nein, er nähert sich murmelnd durchs Geflecht und steht irgendwann da: Odysseus im Fell – vom eigenen Schaf, zottig und halboffen. Intensiv ist diese Begegnung bis zum Schluß, anstrengend auch: Man folgt einem Kauz durch die Flora und hängt ihm an den Lippen. Und was in der Luft liegt, der schwülen, das ist im Ganzen der Eindruck: Wir sind Gäste, hier spricht ein Gastgeber.
 
Von Anfang an in diesem Gestus begegnet Greza, als er zur Begrüßung grummelt: „Ich weiß, was ihr hören wollt.“ Und so weiter beim Gang durchs Gewächshaus, zugleich durch seine reichen Erinnerungen: Den menschenfressenden Riesen will man und bekommt ihn gnädig, Circe, Skylla und Charybdis. Wer solche Weggefährten hat, klar, braucht sich mit Förmlichkeit nicht abzugeben. Schweifend, plötzlich stockend, manchmal – eher schräg –  ergänzt mit Erklärungen aus dem Botaniklexikon.
 
Leicht überfordert mögen Besucher (nur dreißig passen hinein) sich fühlen in dieser seltenen Theatersituation – aber wo wäre das zumutbarer als beim Helden eines Urmythos? Mit sicherer Hand gibt Greza einen Odysseus als Altstar: Er weiß, wer er ist und daß die Welt ihn verehrt, und gibt eine Audienz nach seinen Regeln. Inklusive unerwarteter Raumwechsel, auch mal mit ruppigem Rupfen am Blattwerk. Darf der das denn? Was sagt der Naturschutz? Da muß der geneigte Zuschauer einmal ausblenden, daß die Theaterleute hier ja eigentlich so sehr Gast sind wie man selbst. Dann aber wirkt alles nach einem stimmigen: Ich bin Herr des Hauses.
 
Heißt auch, natürlich: Für ihn ist dies kein Irrgarten. Seltene Welten, auch grüne, hat er sicher manche gesehen … möchte man dichten. Doch die Fahrt ist vorbei, kein Zweifel: Das Grün ist sein Hort. Genug Zeit beim Warten vorab hatte das Hirn mit Latein-Rudimenten auch zur Mutmaßung, daß „Horr“ und „hortus“ für Garten vermutlich zusammenhängen. Hier würde es jedenfalls passen, denn das eben scheint sein Verhältnis zum Geranke, anders als beim Zuschauer, der bis zum Schluß (gut so!) mit dem Ort eher fremdelt: Odysseus ist angekommen. Nicht gerade Pensionär vielleicht, aber seßhaft geworden, niedergelassen, und gehen läßt er sich auch. Er ist ja daheim – endlich.
 
Odyssee. Frei nach Homer, erzählt von einem Gärtner.
Nächste Termine: 4.2.2107, 18.30 Uhr, 17.2.2017, 19.30 Uhr. Ort: Glashaus des Botanischen Gartens, Wuppertal.
 
Weitere Informationen: www.schauspiel-wuppertal.de/