Die Metamorphosen Ovids und der deutsche Exil-Pen

Alles wandelt sich – Echos auf Ovid (hrsg. von Gabrielle Alioth und Hans-Christian Oeser)

von Johannes Vesper

Die Metamorphosen Ovids
und der deutsche Exil-Pen
 
2000 Jahre nach dem Tod des Ovid besinnt sich das PEN-Zentrum deutschsprachiger Autoren (gegründet 1934 als Exil-PEN) auf Ovid und seine Metamorphosen. Mit seinen Büchern der Verwandlungen, dem Schlüsselwerk zur antiken Mythologie, setzen sich 40 zeitgenössische Autoren in kurzen Texten und Gedichten auseinander. Wie war das noch mal mit dem Dichter und Schriftsteller zu Zeiten des großen Kaiser Augustus? Wer war Publius Ovidius Naso? Er maskierte sich tatsächlich selbst mit dem Beinamen „Nase“, wurde 43 v.u.Z. geboren und starb im Jahre 17 u.Z. . Als junger Mann schrieb er seine freizügigen und brauchbaren erotischen Dichtungen, die Elegien, die Briefe der Liebenden, seine Ratschläge zur Gesichtspflege der Frauen, die Liebeskunst getrennt für Männer und Frauen bis hin zu Empfehlungen für Stellungen und Positionen , wenn es in der Liebe zur Sache geht. Als Schriftsteller und Dichter „fügte sich alles, was er zu schreiben versuchte, ins passende Metrum und wurde zum Vers“. Seine erotodidaktischen Schriften wurden damals zu Bestsellern, aber von Kaiser Augustus mißbilligt, der mit Sittengesetzen die zu dieser Zeit abhanden gekommene altrömische Familientugend wieder herstellen wollte. Ob alleine Ovids literarische Freizügigkeit dazu geführt hatte, daß er ihn ans Schwarze Meer verbannte, ist nicht ganz klar. Ovid selbst war dreimal verheiratet. Die beiden ersten Frauen hatten „obwohl sie sich nichts zuschulden kommen ließen, keine gesicherte Zukunft in seinem Bett“. Ihm wurde vorgeworfen, den Ehebruch der Enkelin des alternden Kaisers ausgeschlachtet zu haben. Es könnte auch sein, daß der Senator und Jurist Ovid selbst mit der schönen Julia angebandelt bzw. ein uneheliches Verhältnis mit ihr unterhalten hatte, was dem sittenstrengen Opa Augustus überhaupt nicht in seinen politischen Kram passen konnte. Zwar wurden Ovids Schriften nicht verbrannt. Sie durften auch weiter gelesen und verkauft werden. Aber der Autor wurde aus Rom entfernt und mußte am Strand des Schwarzen Meeres, an der Grenze der römischen Welt, weit in der Ferne einsam seine Jahre verbringen. Er gilt als einer der ersten und jedenfalls berühmtesten antiken Exil-Schriftsteller und hätte also schon damals einen römischen Exil-PEN gründen können.
 
Ovid erzählt in seinen Metamorphosen umfassend die damalige griechisch-römische Mythologie. Sein Epos von 15 Büchern gilt als das „das Beziehungsgeflecht der europäischen Phantasie“ (Hans Blumenberg). Ovids Metamorphosen liefern, ergänzt von der Bibelübersetzung Martin Luther ca. 1500 Jahre nach ihm, die wichtigen Bilder und Motive für die gesamte Literatur und Kunst des modernen Europas. Viele Wendungen Ovids leben noch heute unserem Sprachgebrauch fort, schreiben die Herausgeber: Aller Anfang ist schwer. Einmal ist keinmal. Von nichts kommt nichts. Steter Tropfen höhlt den Stein. Nachts sind alle Katzen grau usw.usw.. Tatsächlich finden sich in dem schmalen Bändchen kurze Texte, aus denen klar wird, daß Exil- bzw. Vertreibung noch heute bedrückend aktuell ist. Die Flucht im Container auf einem Lkw , wie sie von Renate Ahrens expressiv geschildert wird, endet für den kleinen Sohn der jungen Frau tödlich. Ovid hätte so etwas nicht für möglich gehalten. Peter Arnds weist in seinem Text auf die Notwendigkeit einer Tollwutimpfung für einen längeren Aufenthalt in Indien hin und glaubt an die Melancholie indischer Hunde. Ob die sich bei Erkrankung an Tollwut wirklich in wölfischen Wahnsinn verwandelt? „Metamorphose“? Ovid“ ? Und im großbürgerlichen Landhaus am See (Dorothea Renckhoff: „Szenenwechsel - eine Metamorphose“) trafen sich vor dem Krieg junge Dichter, Schriftsteller und ihre Freunde und Mäzene. Später wurden sie vertrieben oder gequält und ermordet. O ja, die Zeiten ändern sich. „Keinem bleibt seine Gestalt, sagt Ovid“ (Michael Starke). Plastische Chirurgen verändern das Aussehen, die Identität, versuchen Gesichtsverstümmelungen, entstanden im Kampf zwischen peruanischer Armee und Revolutionären, erträglich zu machen (Teresa Ruiz Rosas: Metamorphose einer Frau). Alles wandelt sich und nicht immer zum Besten. Veränderungen und Exil werden im vorliegenden Taschenbuch literarisch gespiegelt. Laut Klappentext handelt es sich um die besten Texte deutschsprachiger Autoren im Ausland zum Thema. Ob diese wie die Ovidschen Metamorphosen nach 2000 Jahren noch gelesen werden, ist fraglich. Jetzt sind sie allemal lesenswert.
 
Alles wandelt sich – Echos auf Ovid
Eine Anthologie, herausgegeben von Gabrielle Alioth und Hans-Christian Oeser
© 2016 P&L Edition 1. Auflage. 207 Seiten, im Namen Auftrag und Namen des PEN-Zentrums deutschsprachiger Autoren im Ausland. Im Anhang finden sich informative Kurzbiographien der Autoren.
14,80 €.
Weitere Informationen:  http://blog.bookspot.de