Retro Glamour - Ja, warum nicht?

„La La Land“ von Damien Chazelle

von Renate Wagner

La La Land
(USA 2016)

Drehbuch und Regie: Damien Chazelle
Mit: Ryan Gosling, Emma Stone u.a.
 
Wie groß das Entzücken an diesem Film war, konnte man schon beim „Golden Globe“ feststellen: Mit 7 Nominierungen lag das „La La Land“ von Damien Chazelle absolut an der Spitze, alle Globes sind es dann auch geworden – nicht weniger als eine Sensation in der Branche.
Wofür die exzessive Begeiserung? Für eine seltsame und nicht ganz organische Mischung von nostalgischem Musical und einer doch recht realen Geschichte zweier Menschen, die in L.A. Karriere machen wollen und den Preis dafür zahlen: ihr Privatleben, ihre Liebe. Und das ist eigentlich nichts zum Singen und Tanzen.
 
Nostalgie groß geschrieben, als besonderes Vergnügen für die Kenner, die schon bei dem Vorspann, der das inzwischen vergessene, einst so geliebte Zeichen für „Cinemascope“ anzeigt! Auch die erste Szene des Films ist eine so „klassische“ Musical-Nummer, daß sie als Paraphrase für alle „Ensemble-Szenen“ dieser Art gelten könnte: Eine lange Schlange von Autos im Morgenverkehr, die sich nicht weiter bewegen. Eine junge Frau summt eine Melodie, öffnet die Autotüre, tänzelt wie versuchsweise herum. Andere Autotüren öffnen sich, und dann strömen sie heraus, springend, swingend, singend, auf den Autodächern ihre anmutigen Schrittfolgen klopfend, die ganze Welt ist Musical. Und das auf einem echten Freeway im Los Angeles von heute gedreht.
 
Da hat Regisseur Damien Chazelle im Genre-Revival des Fünfziger-Jahre-Musicals Erstaunliches geleistet, mit Hilfe von Choreographin Mandy Moore und der Musik seines ihm verbundenen Kollegen Justin Hurwitz, wobei spätere Szenen nicht so aufwendig sind, meist nur das romantische Paar zeigen, sich an Fred Astaire / Ginger Rogers und auch Gene Kelly anlehnen und das nicht ohne Anmut und Geschmeidigkeit der tanzenden Schauspieler, vor allem von Seiten des Hauptdarstellers.
Im Stau fahren dann „er“ und „sie“ aneinander vorbei und zeigen sich den Stinkefinger. Sie, Mia, arbeitet in einer Cafeteria und geht zu jedem Casting, vergeblich. Er, Sebastian, ist ein sehr guter Pianist (erstaunlich, wie überzeugend Ryan Gosling die Tasten drückt!) und träumt von „reinem Jazz“ und einem eigenen Club.
Die Liebesgeschichte zwischen beiden zieht sich äußerst länglich dahin, die Musical „Gesang- und Tanz-Szenen“ (wo man auch im Observatorium glatt in den Himmel schwebt) passen mal mehr, mal weniger, vielleicht auch, weil Ryan Gosling absolut als der romantische, melancholisch verbrämte Liebhaber-Typ durchgeht, Emma Stone, die eher von gröberer Struktur ist, nicht unbedingt als das süße Mädel, das hier von der Musical-Struktur her gefragt wäre.
 
Hollywood also, auch als Realität: Die Stadt, wo jeder (es ist irgendetwas zwischen traurig und tragisch, nicht wahr?) von der Karriere träumt und einer von Hunderttausend (weniger?) es schafft. Die Stadt auch als halb glitzernder, halb schäbiger, zitatenreicher Hintergrund (das Observatorium hat man doch in „Denn sie wissen nicht, was sie tun“ von James Dean schon gesehen?).
Wenn der Film sich dann auf die auseinanderstrebenden beruflichen Karrieren von Mia und Seb konzentriert, wird er besser, ehrlich, handelt vom Ausverkauf der Träume (wo der Pianist „erwachsen“ wird und für gutes Geld wohlfeil Show macht). Und als auch Mia dann endlich Karriere macht, ist es mit der ohnedies eher schwierigen Beziehung zu Ende.
Am Schluß darf das Musical noch einmal wiederkommen, mit einer hinreißenden, auch mit Comics versetzten Sequenz darüber, wie das gemeinsame Leben der beiden glücklich hätte verlaufen können, bis zum strahlenden Happy-End – die herrlichste Traumfabrik. In der Realität gehen sie nach einem Zufallstreffen (er hat jetzt „seinen“ Club und ist allein, sie hat Mann und Kind und ist vielleicht nicht so total glücklich) traurigen Blicks wieder auseinander. „The End“ – so wie die Abspänne im Kino anno dazumal ausgesehen haben.
 
Ja, das ist eine Geschichte, in der so viel Wahrheit steckt, daß sie fast weh tut. Und dann wird – perfekt und mit Liebe gemacht – die altmodische Musical-Verbrämung (als Huldigung an Hollywoods große Vergangenheit) darüber gegossen, quasi als Kommentar: das La La Land des Kinos und das Los Angeles der Wirklichkeit. Klug gedacht, filmisch großartig gemacht, und dennoch paßt es nicht hundertprozentig zusammen.
Das sind Bedenken, die weder den meisten Kritikern noch dem Publikum kamen: Nach zwei Wochen hatte der Film schon das Doppelte seines Budgets eingespielt, und nach dem Regen an „Golden Globes“ werden die Kinokassen wohl explodieren. Der Zauber des Traumwelt-Musicals greift, je düsterer die Wirklichkeit vor den Kinohäusern ist. Retro Glamour konstatierten die amerikanischen Filmkritiker. Ja, warum nicht?

Trailer englisch

 
Renate Wagner