Beckfelds Briefe

An Jupp Breitbach

von Hermann Beckfeld

Hermann Beckfeld - Foto © Dieter Menne
Lieber Jupp Breitbach,
 
ich mag es gar nicht glauben. Es ist schon 20 Jahre her, daß ich mit meiner Familie auf Ibiza Urlaub machte und das schönste Fax meines Lebens erhielt. Der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger informierte mich, daß ich den Theodor-Wolff-Preis gewonnen hatte; die größte Auszeichnung, die ein Journalist hierzulande erhalten kann. Direkt nach dem Rückflug griff ich zum Telefon. Es war mir ein Anliegen, mich bei Ihnen zu bedanken, weil ich über Sie, über Ihr Leben im Stadion hatte schreiben dürfen; ich wollte Sie zur Preisübergabe und meiner Feier einladen. Es meldete sich Ihre Frau, das Telefonat war kurz, jedes Wort schien ihr schwerzufallen. „Jupp ist vor zwei Monaten gestorben. Herzinfarkt.“
Die Geschichte hinter der Geschichte, vor der Geschichte. Ein Freund hatte mir von Ihnen erzählt. Von dem Platzwart, der fast seit seiner Geburt, der 59 Jahre lang im Essener Georg-Melches-Stadion wohnte. Von dem Mann, der für seinen Verein, für sein Stadion lebte; der aus einfachen Verhältnissen stammte, für den der Umgang mit prominenten Fußballern wie Beckenbauer, Müller und Breitner, mit Stars und Idolen, aber normal war, der sogar dem großen Pelé die Kabinentür aufschloß. Der seine Marotten hatte. Der knurrig, sperrig, kantig, ja aufbrausend und rechthaberisch sein konnte; der gerne raushängen ließ, wer der wahre Chef im Stadion ist, wer die Macht hat. Der aber auch ein großes Herz hatte, einfühlsam sein konnte und zuhörte, wenn Spieler und Trainer seinen Rat, seine Hilfe brauchten.
An Ihnen kam keiner vorbei, Journalisten, die Ihrer Meinung nach schon zu viel Unsinn über Ihre Rot-Weißen geschrieben hatten, schon gar nicht. Interviews lehnten Sie kategorisch ab. Ich hab´s trotzdem versucht, bin unangemeldet zur Hafenstraße gefahren. Und habe Ihr Vertrauen gewonnen. Ich kam nie dazu, Sie nach den Gründen zu fragen. Vielleicht, weil Sie gespürt haben, daß ich Ihnen nicht um den Mund redete, um die Geschichte zu schreiben; daß ich so wie Sie den RWE und das in die Jahre gekommene Stadion, die Fans und die Spieler liebe; Spieler wie Ente Lippens, Frankie Boy Mill, Horst Hrubesch und Rotbäckchen Hohnhausen, die so anders waren als die erfolgsverwöhnten, vielfach hochnäsigen Borussen, Schalker und Bayern; echte, ehrliche Rot-Weiße, die großartig zaubern konnten, die uns begeisterten und letztendlich doch abstiegen.
Vielleicht hat Ihnen auch imponiert, daß ich ganz oft mit meinem Vater von Bottrop aus zur Hafenstraße gelaufen bin; daß ich vor Wut und Enttäuschung hätte heulen können, als wir nach einer unglaublich fantastischen Leistung gegen Karlsruhe in die zweite Liga mußten.
„Ein Leben lang nur Heimspiele“, so heißt meine Reportage, mit der ich den Theodor-Wolff-Preis gewann. Sie haben unter dem Stadion gewohnt, hatten kaum ein freies Wochenende, weil dann die Spiele stattfanden. Sie waren der, der oft nach Training und unzähligen dritten Halbzeiten erst spät abends das Stadiontor abschloß; der viel erfuhr und viel zu erzählen hatte von Sensationen und Skandalen, Triumphen und Tragödien, Auf- und Abstiegen, von ganz privaten Sorgen. Der für seine Memoiren 800 Seiten brauchte, sie aber nie veröffentlichte, eigentlich nie veröffentlichen wollte.
Die Geschichte nach der Geschichte. Kurz nach der Veröffentlichung der Reportage gingen Sie in den Ruhestand. Sie gaben die Stadionschlüssel ab, Ihren Schäferhund Asko ließen Sie zurück, er sollte es im Stadion besser haben als in der neuen Wohnung im Stadtteil Schönebeck; wenigstens ihm wollten Sie den Umzug ersparen. Sie kamen nur zur Hafenstraße, um Asko zu füttern. Irgendwann haben Sie sich doch aufgemacht, um ein Heimspiel anzuschauen. Wie groß muß Ihre Enttäuschung gewesen sein, als der Kassierer Eintritt verlangte?
 
Lieber Jupp,
ich hätte noch so viele Fragen. Müssen Sie auch im Himmel den Kalkwagen schieben, um das Spielfeld zu markieren? Ist dort oben unser Boss und Weltmeister Helmut Rahn auch für Wunder zuständig? Und wie geht es Asbach Fürhoff, der sich seinen Spitznamen redlich verdiente? Ach, ehe ich es vergesse. Zum 20-Jährigen plane ich keine große Party. Ich werde meine Kumpels, die mir den Erfolg gegönnt haben, zu einem zünftigen Abend in die Essener Dampfbierbrauerei einladen. Und vorher fahren wir zur Hafenstraße. Zu Ihrem Stadion, in dem Sie für mich immer ein Heimspiel haben.
 
Glückauf
Hermann Beckfeld
 
 
 


Mit freundlicher Genehmigung des Autors und der Ruhr Nachrichten.
„Beckfelds Briefe“ erscheinen jeden Samstag im Wochenendmagazin dieser Zeitung.