Notizen

Aus dem Tagebuch

von Erwin Grosche

Foto © Harald Morsch

Notizen 

Bremsen: Manchmal fragt man sich, wozu sind Bremsen gut? Ich meine natürlich nicht die Bremsen eines Autos, die uns oft stoppen, wenn wir in Fahrt sind. Ich meine diese blutsaugenden Insekten, die uns an schwülen Tagen nicht nur belästigen, sondern regelrecht quälen. Wie kann man einen schwitzenden Menschen an einem heißen Tag so demütigen? Kürzlich ging ich spazieren. Eigentlich meide ich den Gang durch Getreidefelder, um diese Bremsen, die dort verstärkt auftauchen, nicht unnötig zu provozieren. Es war an dem Tag sonnig und schwül, aber ein leichter Wind baute jeden auf, der sich nicht zu sehr in Sicherheit wiegte. Plötzlich suchte mich ein Nieselregen heim und spendete Trost. Es war wie ein neckisches Spiel vom Himmel, als ginge jemand mit dem Wassersprenger auf mich los. Lachend genoß ich die Erfrischung. Ich stand gerade zwischen zwei überreifen Weizenfeldern und konnte unter mir das Tal erblicken. Wie wunderbar die Aussicht war. Ich war überwältigt vom Glück. Vor mir, direkt über dem kleinen Wald, spannte sich ein Regenbogen. Alles roch rein und klar. War ich nun Teil der Vollkommenheit? Gott zeigte mit durch sein Zeichen, wie lieb er mich hatte. Frieden überkam mich. Ich war so eins mit allem, daß ich meine Arme ausstrecken mußte und tanzte. Plötzlich riß mich ein Stich aus meinen Träumen. Eine Bremse saß auf meinem linken Handrücken und saugte mich aus. Ich erkannte wieder, wo ich war und wer ich war. Und da wußte ich plötzlich, wozu es Bremsen gibt. Die Blutsauger erretten uns aus unseren Träumen, wenn uns Gottes Schönheit zu überwältigen versucht. Ohne sie wären wir in aller Schönheit verloren und fänden den Weg nicht zurück zu unseren Aufgaben und unserem irdischen Leben. Sie stoppen unsere Irrfahrt durch die Träume und lassen uns erwachsen werden. Ich schlug mit der rechten Hand auf die Bremse, aber sie war schon fortgeflogen. Ich blickte auf den roten Einstich. Ich war ein Gezeichneter und ging vorsichtig meiner Wege. Sage noch einer, daß die Bremsen nicht ihre Aufgaben haben.
 

© 2016 Erwin Grosche