Ohne pompöse Geste sehr überzeugend

„Marie Curie“ von Marie Noelle

von Renate Wagner

Marie Curie
(Deutschland, Frankreich, Polen 2016)

Drehbuch und Regie: Marie Noelle
Mit: Karolina Gruszka, Charles Berling, Arieh Worthalter, Samuel Finzi u.a.
 
Es ist die Zeit der großen Kino-„Bio Pics“ – die Schriftstellerin Lou Andreas- Salome war schon an der Reihe, die Malerin Paula Modersohn-Becker kommt demnächst, Wissenschaftlerin Marie Curie erscheint nun in den Kinos. Während die Männer (ob Politiker, ob Sportler, ob Künstler) eigentlich permanent auf der Leinwand waren, sind nun (endlich?) die bedeutenden Frauen an der Reihe.
Aber wie „zeigt“ man wissenschaftliche Arbeit? Das ist noch schwieriger als alles andere, das ein Ausnahmeschicksal kennzeichnet, wenn ja doch nur die Fachleute verstehen, was da in den Labors gesucht (und, wie man weiß: auch gefunden) wurde. Also schildert man das Frauenschicksal selbst, am besten als solches – denn jede Frau, die noch im so restriktiven 19. Jahrhundert zur Welt gekommen ist, mußte über gewaltige rebellische Kräfte verfügen, um sich durchzusetzen.
 
Für Marie Curie (1867-1934), gebürtige Polin, in Paris verheiratet und arbeitend, war es besonders schwer: Zwar waren ihre Leistungen als Physikerin und Chemikerin überragend, aber sie bewegte sich in einer Männerwelt – und anfangs war es nur ihr Gatte, der hoch anerkannte Physiker Pierre Curie (1859-1906), an dessen Seite sie sich hielt. Wobei die beiden eine ganz besondere Lebens-, Liebes- und Arbeitsbeziehung verband.
Wenn die Filmemacherin Marie Noelle (man kennt sie aus der Zusammenarbeit mit ihrem verstorbenen Gatten Peter Sehr, die beiden hatten zuletzt einen sehr interessanten Film über Ludwig II. gemacht) nun auf das Doppelschicksal der Marie Curie als Frau und Wissenschaftlerin zugeht, bietet sie zu Beginn ein sehr überzeugendes Bild an – über das Reagenzglas gebeugt, findet Marie eigentlich nicht wirklich Zeit, sich ihren Wehen zu widmen… Evi, die zweite Tochter des Ehepaars Curie, wurde 1904 geboren. Maria Salomea Skłodowska und Pierre Curie hatten 1895 geheiratet, die erste Tochter Irene war 1897 zur Welt gekommen. Die Curies hatten gemeinsam in idealer Symbiose gearbeitet, Polonium und Radium entdeckt (die beiden sprechen liebevoll von „unserem Radium“), 1903 gemeinsam den Nobelpreis für Physik erhalten.
Der Film zeigt sie bei diesem ersten Nobelpreis und geht, die Biographie entlang, über den Tod von Pierre (1806 bei einem sinnlosen Unfall, als er unter eine Kutsche geriet) bis zum zweiten, Marie allein gewidmeten Nobelpreis von 1911, den man am liebsten wieder zurückgezogen hätte – denn damals brachte ihr außereheliches Verhältnis mit dem verheirateten Paul Langevin, dem ehemaligen Schüler ihres Gatten, mit dem sie nun zusammenarbeitete, sie völlig in Verruf. Die Entschlossenheit, mit der sie darauf bestand, diesen Nobelpreis dennoch entgegen zu nehmen, steht am Ende des Films, der ihre schwersten Jahre nachzeichnet.
Sicher, wenn man Wissen vermitteln will, fällt das leicht ein wenig „volkshochschulmäßig“ aus, aber irgendwie muß man ja zeigen, welche Sensation die Entdeckung der Röntgenstrahlen damals bedeutete, welche Hoffnung man für die Medizin (Krebsbekämpfung) man darein setzte, und man muß auch auf die wunden Finger der Marie Curie aufmerksam machen, die unter Strahlenerkrankung litt.
 
Die Witwe mit zwei Töchtern, die anfangs noch die Unterstützung ihres Schwiegervaters und einer ihrer Schwestern hat – da ist vielleicht ein bißchen viel Familienidylle, ein paar mehr Kitschbilder, als gut tun, wenngleich der Vorwurf „Pilcher“, der in einer deutschen Rezension fiel, etwas zu harsch ist. Vermutlich ging es der Drehbuchautorin / Regisseurin um den schlichten Beweis, daß auch eine Frau, die voll in einem schweren Beruf aufgeht, nicht, wie man heute meint, auf jegliches Privatleben verzichten muß, sondern sich sehr wohl für andere Menschen interessieren kann.
Vielleicht liegt die Beschönigung und Weichzeichnung von manchem auch an der Attraktivität der polnischen Hauptdarstellerin Karolina Gruszka (kein Vergleich mit der „echten“ Marie Curie, wie man sie streng von Fotos kennt), wenngleich diese die Mischung aus Belastung und Selbstbewußtsein ohne pompöse Geste sehr überzeugend zu vermitteln weiß.
Ein Großteil ihres Lebens war Kampf, Kampf gegen eine hochmütige Männerwelt, die sie als „Pollakin“ und „Jüdin“ (was sie nicht war) diffamierte, die ihr keine Chance einräumen wollte, den Lehrstuhl ihres Mannes an der Sorbonne zu übernehmen (eine Frau, eine Ausländerin?), die sie in jeder Hinsicht demütigte: „Nicht schlecht für eine Frau…“ Und, am Beispiel eines Kapazunders (Daniel Olbrychski in großartiger Ekelhaftigkeit als Physiker Emile Amagat, Mitglied der Akademie, der Marie nicht im „Männer-Verein“ haben will): „Dieses Frauenzimmer… immerhin wäre sie gut zu ficken.“ Man mußte schon die Größe eines Albert Einstein (Piotr Glowacki) haben (der hier in einer kleinen Episode fröhlich erscheint), um die Bedeutung, die ohnedies jeder erkannte, auch zu würdigen, statt sie zu leugnen.
 
Hatte Pierre Curie (Charles Berling), der früh im Film stirbt, nur wenig Raum, so zeichnet Marie Noelle die Liebesgeschichte mit Paul Langevin (Arieh Worthalter) ausführlich und auch ein wenig melodramatisch nach. Marie verlangt, daß er sich von seiner rasenden Frau trennt, die einen Journalisten bemüht, die Affäre in die Öffentlichkeit zu tragen – eine gute Rolle für Samuel Finzi. Und Paul, der noch so ein hochrangiger Wissenschaftler und verläßlicher Mitarbeiter sein mag – als Privatmann verläßt ihn die Courage. Die starke Frau, so will die Regisseurin klar machen, ist letztendlich immer allein.
Allein auch läßt Marie Noelle im Nachspann Marie Curie in ihrem schwarzen Mantel, das Fahrrad schiebend, durch das Paris von heute gehen. Sie sind unter uns, will sie sagen, die tapferen Frauen von gestern. Wenn es nur wahr wäre, und wenn ihr Gedächtnis nur die Chance hätte, in einem Film, der nicht der Verkäuflichkeit wegen mit allzu viel Kitsch und Pathos belastet ist, wirklich an die Nachwelt zu kommen.
 
 
Renate Wagner