Karl Schenker - Mondäne Bildwelten

Museum Ludwig Köln, bis 9. Januar 2017

von Rainer K. Wick

Karl Schenker, Selbstporträt 1915 - Foto © Rainer K. Wick
Karl Schenker
Mondäne Bildwelten

Museum Ludwig Köln, bis 9. Januar 2017
 
Zu den fotohistorischen Entdeckungen der letzten Jahre zählt der Society-Fotograf Karl Schenker. Lange in der Versenkung verschwunden, macht nun das Kölner Museum Ludwig den Versuch, ihn nicht nur dem Vergessen zu entreißen, sondern auch seine oft etwas abgeschmackt wirkenden Fotos zu rehabilitieren.
In den maßgeblichen Referenzwerken zur Fotogeschichte sucht man den Namen Schenker vergebens. Das mag verwundern, gehörte er doch in den Zehner und Zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts als Porträtist der Berliner High Society und in den Dreißiger Jahren als Werbe- und Modefotograf zu den herausragenden Vertretern seines Fachs. Daß er danach gleichsam von der Bildfläche verschwand, hat mit biografischen Faktoren, aber auch mit dem allgemeinen Wandel fotoästhetischer Positionen zu tun. Insofern ist der Fall Schenker keinesfalls singulär, sondern rezeptionsgeschichtlich geradezu als prototypisch anzusehen. Daß Schenkers auf physische Idealschönheit zielende Glamour-Fotografie derzeit aber wieder Interesse findet, erklärt Miriam Halwani, Leiterin der Fotografischen Sammlung des Museums Ludwig, einerseits mit der „wachsenden wissenschaftlichen Beschäftigung mit populären Bildkulturen“ und der „zunehmenden Öffnung des Fachs Kunstgeschichte hin zur Bildwissenschaft“, andererseits – angesichts der grassierenden Selfie-Manie – mit der Suche „nach dem perfektionierten Selbst im Bild, [...] nach makellosen Menschenbildern“ – Leitmotiv sowohl der fotografischen Praxis Karl Schenkers als auch aktueller Selbstinszenierungspraktiken vor allem junger Frauen in den sozialen Medien.
 
Was Schenker anbelangt, hat die fotohistorische Aufarbeitung gerade erst begonnen. Die Forschungslage ist schwierig, da es keinen Nachlaß gibt und die lebensgeschichtlichen Fußspuren spärlich sind. Umso bemerkenswerter ist die umfangreiche, noch bis Anfang 2017 laufende Kölner
 
Karl Schenker, Aktstudie (Deutsche Kunst und Dekoration, 1915)
Ausstellung mit circa 250 Arbeiten, begleitet von einem informativen, im Verlag der Buchhandlung Walther König erschienenen Katalogbuch, in dem trotz der schlechten Quellensituation ein überraschend facettenreiches Bild der Person und des Wirkens des Fotografen gezeichnet wird.
1886, also in der Blütezeit der K.-u.-k.-Doppelmonarchie, wurde Karl Schenker als österreichischer Jude in Sereth, einem kleinen Ort in der südlichen Bukowina an der Grenze zur heutigen Ukraine, geboren. Über Lemberg und München kam er 1911 nach Berlin. Hier führte er am Kurfürstendamm ein florierendes Fotoatelier. 1925 ging er nach New York, wo er vor allem als Porträtmaler und -zeichner hervortrat. Zu Beginn der dreißiger Jahre kam er zurück nach Berlin und war dort u.a. für den Ullsteinverlag und dessen Publikumszeitschrift „UHU“ tätig. Bald nach der Machtübernahme durch die Nazis verliert sich seine Spur. Als Jude in Deutschland verfolgt, emigrierte er 1938 nach London und unterhielt dort ein Fotostudio. Seinen Tod im Jahr 1954 nahm keine einzige Foto-Fachzeitschrift zur Kenntnis, Nachrufe für den einst gefeierten Star der Berliner Fotoszene blieben aus.
 
Mehr als sechzig Jahre danach wird er nun in Köln als „Master of Beauty“ gefeiert. In der Ausstellung brilliert er vor allem mit seinen in den Zehner
 
und frühen Zwanziger Jahren entstandenen, exquisit inszenierten Damenbildnissen. Diese Porträtköpfe haben, wie Miriam Halwani feststellt, „mit der realen Person, die das Atelier betrat, nur wenig gemein.“ Vielmehr handelt es sich um „entrückte Wunschporträts“, die – so Schenker – „das möglichst Vorteilhafte“ der Modelle zu betonen hatten. Dazu dienten elegante Posen und ein edles Outfit der Porträtierten, eine optimale Lichtregie, der Einsatz malerische Wirkungen erzeugender Weichzeichnerobjektive und der ausgiebige Gebrauch der Retusche. Im Extremfall übermalte er ganze Aktfotos, um seine Modelle nicht zu kompromittieren. So erinnert sich der Fotograf Heinz Hajek-Halke, Schenker habe einer angesehenen Dame der Gesellschaft Aktbilder nach Hause geschickt, die, um den Ehemann nicht zu irritieren, das Modell „bekleidet“ zeigten, und zwar mit einem perfekt gemalten Pelz, „auf dem man jedes Haar zählen konnte“. Daß sich Schenker damit im Widerstreit mit den fotografischen Avantgarden der Weimarer Republik befand, liegt auf der Hand. Denn unter den progressiven Fotografen der Zeit, denen an der medialen Selbstbegründung der Fotografie, an der Exploration ihrer technischen Bedingtheiten und Möglichkeiten und der Etablierung eines „Neuen Sehens“ gelegen war, kam die Retusche nicht mehr in Frage.


Blick in die Ausstelung: Karl Schenker bei der Arbeit an einer seiner Wachsfiguren, 1925 (Foto Rheinisches Bildarchiv, Köln)
 
Interessant ist, was der prominente österreichische Schriftsteller und Kritiker Franz Blei schon 1915 in der Zeitschrift „Deutsche Kunst und Dekoration“ über Karl Schenker schrieb: „als Maler hat [er] ein sicheres konstruktives Auge. [...] Er macht Bildnisse, die ‚gebaut‘ sind, stellt sie auf, gewissermaßen. Er flunkert nicht mit sogenanntem seelischen Ausdruck; [...] er bleibt vielmehr ganz solide und gewissenhaft bei der Oberfläche. [...] Die sogenannte Oberfläche hat mehr Tiefe als die bewußte vermeintliche Tiefe Tiefe hat. [...] Das hervorstechendste Charakteristikum seiner Bilder ist eine ausgesprochen dekorative Haltung. [Schenker] ist der geborene Bildner eleganter Gestalten [mit einer] Leidenschaft für das großstädtisch Mondäne.“ So treffend diese Charakterisierung ist, so sehr bietet sie all jene Argumente, die erklären, warum Schenker von der späteren Fotogeschichte lange übergangen wurde: so vor allem das Lob der Oberfläche, gleichbedeutend mit einer Indifferenz gegenüber dem Psychologischen, und der Reiz des Dekorativen, Eleganten und Mondänen. Stilistisch bewegte sich Schenker dabei zunächst ganz in den Bahnen der Tradition, sprich, der sogenannten Kunstfotografie und des Piktorialismus der Zeit um 1900 mit dem zeittypischen Verzicht auf Detailgenauigkeit und Konturschärfe sowie der erwähnten Vorliebe für die schönende, dem Auftraggeber schmeichelnden Retusche. Erst in den Dreißiger Jahren traten an die Stelle „pudriger“ Porträts und Aktaufnahmen auch Schauspieler- und Modefotos, die sich stilistisch an der Neuen Sachlichkeit orientierten und zum Teil sogar Anleihen bei der Ästhetik des sog. Neuen Sehens erkennen lassen (letztere allerdings nicht in der Kölner Ausstellung).


Karl Schenker, Aktstudie 1921 (in  Peter Landow, Natur und Kultur. Das Weib, 1925) - Foto © Rainer K. Wick
 
Zwei Werkgruppen belegen das geradezu obsessive Interesse Schenkers an der Schaffung eines auf Perfektionierung des Körpers zielenden Schönheitsideals, dem das Individuelle möglichst untergeordnet, ja geopfert wird. Im Jahr 1925, noch vor seiner Zeit in den USA, schuf er Wachsfiguren – er nannte sie „Mannequins“ –, die er minutiös bemalte, modisch einkleidete und dann fotografierte. Mögen sie auf den ersten Blick auch realistisch erscheinen, wird doch schnell deutlich, daß hier ein Frauenklischee von extremer Künstlichkeit inszeniert wurde, das mit der Wirklichkeit der vermeintlich „Goldenen Zwanziger Jahre“ kaum etwas zu tun hatte, das aber nach dem Grauen des Weltkriegs und den Entbehrungen der Nachkriegszeit als Wunschprojektion durchaus auf fruchtbaren Boden fiel. Ähnliches gilt für Schenkers reportageartig konzipierte Fotosequenz „Schönheitspflege“ aus dem Jahr 1934, die die kosmetische Zurichtung einer jungen Frau in einem Beautysalon zeigt.


Karl Schenker,  Filmalbum und Starpopostkarten um 1932 - Foto © Rainer K. Wick
 
Schenkers glamouröse Fotografien befriedigten zu ihrer Zeit ein ausgeprägtes „Bedürfnis der gehobenen Gesellschaftsschicht [...] nach Imagepflege“ – so die Kuratorin Miriam Halwani. Die schön gehängte Kölner Ausstellung erhebt erklärtermaßen nicht den Anspruch, Schenker nachträglich in die fotografischen Avantgarden der Zwischenkriegszeit einzuschleusen oder ihn gar ins Pantheon der Fotografie aufzunehmen, wohl aber, die „fotografische Handschrift“ dieses Meisters der Schönheit „zu entziffern, um zu begreifen, warum [er] damit so populär [und] als ‚Künstler‘ gefeiert wurde“. Ob die Ausstellung dies letztlich leistet, mag jeder Besucher für sich selbst entscheiden.

Rainer K. Wick