Beckfelds Briefe

An Rudi Gutendorf

von Hermann Beckfeld

Hermann Beckfeld - Foto © Dieter Menne
Lieber Rudi,
 
irgendwie paßt alles. Alles in Dein irres, aufregendes, einzigartiges Leben. Deine Trainerkarriere, Deine Geschichten, Siege und Niederlagen, Dein Haus, Deine Beziehungen. Einfach alles. Meine Kollegen hatten viel zu schreiben, als Du im August 90 wurdest.
Vor mehr als 20 Jahren haben wir uns bei einem Interview kennengelernt. An die Inhalte kann ich mich kaum noch erinnern, an den Ort schon. Du hattest die Autobahnraststätte Fernthal an der A3 vorgeschlagen. Die war leicht zu erreichen von Deinem ungewöhnlichen Haus, einer 180 Jahre alten ehemaligen Telegrafenstation auf einer einsamen Anhöhe im tiefsten Westerwald. Und die Raststätte war so typisch für Dein Leben, Deine Einstellung. Immer einen Abzweig im Blick haben, auf der Autobahn, auf der Überholspur leben, stets neue Ziele, Herausforderungen ansteuern, Gas geben, alles, aber bloß kein Stillstand. 
Rudi Rastlos eben, der bunteste Hund der Trainerzunft, der Abenteurer und Weltenbummler, der auf allen fünf Kontinenten gearbeitet hat. 56 Stationen in 26 Ländern, von Nepal, Tonga, Botswana, Australien, Fidschi bis Ruanda. Nationaltrainer, Vereinstrainer, Ausbilder. Manchmal über Nacht verpflichtet, häufig erfolgreich und gefeiert. Nicht selten auch nach wenigen Wochen gefeuert, aus dem Land gejagt oder geflüchtet. 
Eigentlich sind es zu viele Geschichten für ein einziges Leben. Du hast sie alle erzählt vor einigen Jahren während unserer Talkshow in meiner Lieblingskneipe in Bottrop; mit leiser Stimme, zuweilen ernst, nachdenklich, kritisch, pointiert sowieso, meistens mit der Gelassenheit des Alters, aber manchmal, da blitzte das Feuer auf, das immer in Dir stecken wird. In Chile bist Du befreundet mit Präsident Allende, gerätst in den Putsch von Pinochet und kannst vor dem Angriff auf den Regierungspalast mit der letzten Maschine außer Landes fliehen. In Tansania mußt Du gegen den Voodoo-Zauber der Spieler kämpfen, die nachts mit dem Blut eines geschlachteten Tieres den Strafraum färben. Gegner Sambia weigert sich, auf dem verhexten Platz anzutreten, der dann mit Sand neu abgedeckt wird. „Zum Schluß stellten Medizinmänner hinter meinem Rücken die Mannschaft eigenmächtig auf, und wir verloren“, schiebst Du gerne hinterher. Kurz vor Deinem Engagement in Tunesien beim Lieblingsclub des Präsidenten Bourguiba triffst Du durch Zufall Konrad Adenauer. Herrlich, welchen Ratschlag der Kanzler Dir auf den Weg mitgibt. „Machenses jut, Herr Jutendorf, sonst holen die einen Trainer aus der Soffjetzone.“ In Guatemala sitzt Du in einem verlausten Knast, weil Du die nächtliche Ausgangssperre mißachtet hast, und in Ruanda schaffst Du das Unmögliche: Du baust eine Mannschaft aus Spielern der sich brutal bekämpfenden Hutu und Tutsi auf und weinst, als sich die ehemalige Todfeinde nach Toren in den Armen liegen.
Schalke verpflichtet Dich als Retter; Du führst die Mannschaft von einem Abstiegsplatz in den Europapokal-Wettbewerb und bekommst trotzdem den Laufpaß. Weil es im lächerlichen Kampf um Macht und Eitelkeit nur einen König auf Schalke geben kann. Präsident „Oskar“ Günter Siebert oder Du, zwei, die sich immer gut selbst vermarkten und so herrlich ausflippen können. Nach einem Spiel in Zagreb fliegen die Fetzen, und ihr wollt Euch gegenseitig „in die Schnauze hauen“. Auch das bist Du. Rudi, der impulsive, der übers Ziel hinausschießt, der von sich Überzeugte; einer mit Leidenschaft, kompromisslos, kreativ. Deine verhätschelten Schalke-Spieler läßt du morgens um 6 Uhr vor der Frühschicht vor dem Zechentor von „Consol“ trainieren; Bergleute, Fans und meine Zunft sind begeistert. „Riegel-Rudi“, der in der ersten Bundesliga-Saison mit Beton-Fußball dem MSV Duisburg sensationell den zweiten Platz sicherte, ist mal wieder für eine fette Schlagzeile gut.
 
Lieber Rudi,
vergeht das Leben schneller, zu schnell, wenn jemand wie Du immer aufs Tempo drückt, nichts ausläßt? Du hast eine wesentlich jüngere Frau geheiratet, bist mit 62 Vater geworden, hast Dich vor zwei Jahren noch angeboten, als Trainer den Feuerwehrmann, den Retter zu spielen. Viele haben damals gelächelt. Ich jedoch mag Deinen Tatendrang, Deine Aufgeregtheit, Deine Neugier auf Neues. Ich mag Rudi Rastlos.
 
Glückwunsch
Hermann Beckfeld
 
 


Mit freundlicher Genehmigung des Autors und der Ruhr Nachrichten.
„Beckfelds Briefe“ erscheinen jeden Samstag im Wochenendmagazin dieser Zeitung.