Edgar Degas und Auguste Rodin Wettlauf der Giganten zur Moderne
25. Oktober 2016 – 26. Februar 2017 im Von der Heydt-Museum Wuppertal Bis zum 26. Februar 2017 zeigt das Von der Heydt-Museum in Wuppertal mit der Gegenüberstellung von Werken des Malers Edgar Degas und des Bildhauers Auguste Rodin die erste Ausstellung dieser Art überhaupt. Der Museumsdirektor und Kurator Dr. Gerhard Finkh führt mit kurzen Kapiteln, die wir in den kommenden Wochen vorstellen, in die Chronologie der Ausstellung ein.
Kapitel 11 / Raum 11
Edgar Degas und Auguste Rodin
Non-finito, Torsierung und Assemblage
Sowohl Degas als auch Rodin hatten bei ihren Italienreisen die monumentalen Reste der Antike bewundert, beide sammelten antike Kunstwerke, Rodin sogar in einem solchen Umfang, daß sich aus seiner Antikensammlung ein ganzes Museum bestücken ließe. Beiden war also das Problem, daß Objekte im Laufe von Jahrhunderten Zerstörung und Zerfall preisgegeben sind, bekannt. Daß Werke auch schon während des Schaffensprozesses in Scherben zerfallen können, nahm Rodin zum Anlaß für die Anekdote, seine „Maske des Mannes mit der gebrochenen Nase“ sei nur deshalb keine vollrunde Büste, weil sie ihm während der Herstellung zerbrochen sei. Da monumentale Bronzebildwerke, wie sie Rodin in den 80er Jahren herstellen ließ, in der Regel in Teilen gegossen und dann zusammengeschweißt werden, kannte Rodin die Faszination, die vom Bruchstückhaften ausgehen kann, auch von diesem Arbeitsprozess her. Als schnelles Notat einer Idee oder als rasches Festhalten von Gesehenem kannten beide Künstler die unvollständige Skizze, die sich auf das Wesentliche konzentriert, und beide nutzten dieses Noch-nicht-fertige bzw. das schon wieder teilweise Zerstörte, um daraus erst neue, kühne, ganze gültige Formen zu erschaffen. Am bekanntesten ist vielleicht Rodins „L’homme qui marche“, den er aus den Teilen einer Heiligen Johannes-Figur um Kopf und Arme reduzierte und neu, in monumentaler Größe modellierte. Aber es gibt in Rodins Werk viele Beispiele solcher Verkürzungen, die zu einer gewaltigen Intensivierung des Ausdrucks führten. Mit dem absichtsvollen Nicht-Vollenden, dem Non-finito, und der bewußten Zerstückelung, der Torsierung, eröffnete sich eine weitere Möglichkeit, die Rodins plastische Werke (wie eine Blaupause für andere Künstler) weit ins 20. Jahrhundert hinein ragen läßt: die Assemblage. In der Zusammenführung von Bruchstücken wie etwa den Köpfen und Händen der „Bürger von Calais“ (im kleinen Format) mit einem sich schützend darüber beugenden geflügelten Wesen (einem Engel?) läßt sich diese Verbindung von heterogenen Teilen zu einem neuen sinnvollen Ganzen sehr gut sehen, aber auch in der befremdlichen Zusammenstellung einer „main crispé“ mit der Figur einer Flehenden oder einer Faunesse, die aus einem antiken Gefäß herausschaut, und vielen anderen Objekten.
Was Rodin in der Plastik so überraschend und innovativ bewerkstelligte, findet in Degas‘ Pastellen eine Entsprechung. Auch Degas schnitt seine Figuren oft willkürlich ab, ließ aus einer Dreiergruppe ein Tänzerinnenpaar werden, um an der anderen Seite des Blattes – und er konnte dies auch mehrfach variieren -, ein Stück Papier anzusetzen und sich und seinem Personal damit neue räumliche Gegebenheiten zu eröffnen. Wie sehr ihn dieses Spiel mit den Teilen und einem „Ganzen“ faszinierte, läßt sich nicht zuletzt auch an seinen fotografischen Experimenten sehen, wo er nicht nur Mehrfachbelichtungen versuchte, sondern auch die Kamera um 90° drehte, sodaß sich die Dargestellten im Positiv selbst durchdringen.
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